Zwischen Blockieren und Zögern: Die Physik der perfekten Fahrradbremsung

Fahrradbremsen: Zwischen Unter- und Überbremsung ©www.velotech.de
Fahrradbremsen: Zwischen Unter- und Überbremsung ©www.velotech.de

Sie sind das wichtigste Sicherheitssystem am Fahrrad, doch kaum jemand trainiert ihren Einsatz wirklich: die Bremsen. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass die Mehrheit der Radfahrer im Ernstfall entscheidende Fehler macht. Die Folge sind entweder gefährlich lange Bremswege durch Zögern oder Kontrollverlust durch eine Schreckbremsung. Beides kann fatale Konsequenzen haben.

Das Problem ist nicht die Bremse, sondern der Fahrer

Moderne Fahrräder, insbesondere Pedelecs, sind heute mit hochwirksamen Bremsanlagen ausgestattet. Hydraulische Scheibenbremsen bieten eine Bremskraft, die vor wenigen Jahren noch Profi-Mountainbikes vorbehalten war. Doch genau hier liegt die Krux: Die Technik ist oft leistungsfähiger als die Fähigkeit des Fahrers, sie korrekt zu bedienen. Die Hauptursachen für vermeidbare Auffahrunfälle sind nicht defekte Bremsen, sondern falsches Bremsverhalten. Man unterscheidet dabei zwei Extreme: die Unter- und die Überbremsung.

 

Unterbremsung: Der unterschätzte Fehler mit drastischen Folgen

Von Unterbremsung spricht man, wenn ein Radfahrer das Potenzial seiner Bremsanlage bei Weitem nicht ausnutzt. Aus Angst vor einem Überschlag, falscher Gewichtsverlagerung oder schlicht aus fehlender Übung wird zu zögerlich gebremst. Ein typisches Fehlverhalten ist dabei die übermäßige Nutzung der Hinterradbremse, während die Vorderradbremse – die physikalisch bedingt die Hauptbremsarbeit leistet – nur gestreichelt wird.

 

Die Konsequenzen sind dramatisch, wie die Zahlen belegen:

  • Ein Radfahrer, der bei 25 km/h eine optimale Vollbremsung hinlegt, kommt nach rund 7 Metern zum Stehen.
  • Bei einer typischen Unterbremsung verlängert sich dieser Weg auf 18 Meter oder mehr.

Der Anhalteweg wird also um das Zwei- bis Dreifache verlängert. Das ist oft genau die Distanz, die über eine Kollision oder einen sicheren Stopp entscheidet.

 

Überbremsung: Wenn aus voller Kraft Kontrollverlust wird

Das Gegenteil ist die Überbremsung – die klassische Panikreaktion. Hierbei wird, meist in einer Schrecksekunde, der vordere Bremshebel mit voller Kraft und ohne Gefühl gezogen. Das Resultat: Das Vorderrad blockiert schlagartig oder das Hinterrad steigt in die Luft. In beiden Fällen ist der Sturz fast unvermeidlich.

 

Physikalisch ist dieser Fehler tückisch: Zwar treten am Vorderrad kurzfristig extreme Verzögerungswerte von über 7 m/s² auf, doch sobald das Rad blockiert und rutscht, bricht die effektive Bremswirkung ein. Der Bremsweg wird paradoxerweise länger als bei einer kontrollierten Vollbremsung, da das Rad unkontrolliert über den Asphalt schmiert, anstatt maximal zu verzögern.

Die Simulation zeigt die Wahrheit

Ein direkter Vergleich der Bremswege aus 25 km/h verdeutlicht, wie entscheidend die richtige Technik ist:

Fazit der Daten: Nur die kontrollierte, kraftvolle Bremsung, bei der das Hauptaugenmerk auf der Vorderradbremse liegt und ein Blockieren vermieden wird, führt zum kürzestmöglichen Bremsweg und erhält die Kontrolle über das Fahrrad.

 

Der Weg zur sicheren Bremsung: Technik, Training, Wartung

Die gute Nachricht ist: Richtiges Bremsen ist lernbar. Drei Säulen sind dafür entscheidend:

  • Die richtige Technik: Als Faustregel gilt eine Bremskraftverteilung von 70 % vorn und 30 % hinten. Bei einer Vollbremsung den Körperschwerpunkt aktiv nach hinten und unten verlagern („Po hinter den Sattel“), um ein Abheben des Hinterrads zu verhindern.
  • Regelmäßiges Training: Üben Sie Vollbremsungen bewusst auf einem sicheren, freien Untergrund. Tasten Sie sich an die Blockiergrenze des Vorderrads heran, um ein Gefühl für den optimalen Druckpunkt zu entwickeln.
  • Moderne Technik und Wartung: Moderne Scheibenbremsen und innovative ABS-Systeme (z.B. von Bosch) sind wertvolle Helfer und erhöhen die Sicherheit enorm. Voraussetzung ist jedoch immer eine fachgerecht gewartete und korrekt eingestellte Anlage.

 

Appell an Radfahrer und Handel:

Jeder Radfahrer sollte seine Bremsfähigkeiten ebenso selbstverständlich trainieren wie das Schalten. Fachhandel und Hersteller sind gefordert, bei der Beratung und im Verkauf aktiv auf die Wichtigkeit von Bremstrainings hinzuweisen. Denn am Ende gilt: Richtiges Bremsen rettet Leben.

 

Fahrtrainings finden Sie zum Beispiel bei:

https://www.ebike-schule.de/ueber-uns/

 

Quelle: Gastbeitrag Ernst Brust - www.velotech.de

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Manfred WEiss, Fahrradhändler (Mittwoch, 10 September 2025 15:32)

    Ergänzend möchte ich anmerken, dass ein Fahrfehler dominant ist:
    Im Schreck wird ein Fluchtreflex ausgelöst, der dazu führt, dass Fahrer in prenzlichen Situationen auch mal die Knie durchdrücken, was dazu führt., dass das Gesäß den Sattel verlässt., wodurch das Rad über das VR kippt. Das Rückstellmoment , erzeugt durch das Gewicht auf dem Sattel ( im Verkehr)
    Ist stets größer , als das Kippmoment. So sind Fahrräder konstruiert.( Drehmomentengleichung)
    Durch Frontbremse kann das Rad nicht kippen, es sei denn, man fährt im rechten Winkel in einen Graben oder kriegt einen Stock ins VR.

    Vollbremsung kann man einstudieren.

    lG
    Manfred Weiss, Köln

  • #2

    Jan, Karlsruhe (Montag, 13 Oktober 2025 08:40)

    Beim Vergleich mit https://de.wikipedia.org/wiki/Bremsweg fällt auf, dass die hier angegebenen Bremswege zu lang sind - bitte nochmal überprüfen.

    Und dass ein Fahrrad sich beim Bremsen nicht überschlagen kann, das kann jeder widerlegen, der eine gute Vorderbremse (Seilzug-Felgenbremse reicht aus), einen guten Vorderreifen und trockenen Untergrund hat. Es stimmt zwar, dass ein Stoppie leichter fällt, wenn man kurz mal den Popo lupft - aber mit einer guten Bremse reicht die Verzögerung aus, dass sich auch beim Sitzenbleiben das Hinterrad hebt. Nur muss man dafür ziemlich schnell sein, weil sonst das Fahrrad steht, bevor man sich an diesen Punkt rangetastet hat.

    Und dass Fahrradhersteller die Vorderbremse fast immer nach links legen, hat ja wohl genau den Grund, Überschläge zu verhindern, weil die meisten Leute links weniger Kraft haben.