
Der belgische Pedelec-Hersteller Cowboy ruft sein Tiefeinsteiger-Modell C4 ST (Edition MR) zurück. Grund sind potenziell gefährliche Ermüdungsrisse am Rahmen, die nach rund 2.500 Kilometern auftreten und zu einem plötzlichen, katastrophalen Rahmenbruch führen können. Der Fall wirft ein grelles Licht auf eine kritische Schwachstelle in der Qualitätssicherung vieler Hersteller: die unzureichende Prüfung des fahrbereiten Gesamtprodukts.
Ein Riss, der sich im Bereich der Schweißverbindung zwischen Steuerrohr und Unterrohr bildet, ist eine tickende Zeitbombe für jeden Fahrer. Bricht diese Verbindung, verliert man augenblicklich die Kontrolle über das Vorderrad – ein schwerer Sturz ist die unausweichliche Folge. Beim Cowboy C4 ST ist dieses Szenario nun zur realen Gefahr geworden und zwingt das Unternehmen zu einer kostspieligen Rückrufaktion.

Technischer Hintergrund: Ein tödlicher Cocktail aus Design und Fertigung
Laut dem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Mikromobilität, Ernst Brust (velotech.de), ist die Schadensanfälligkeit des Cowboy C4 ST das Ergebnis einer ungünstigen Kombination mehrerer Faktoren, die einander verstärken:
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Tiefeinsteiger-Bauform: Ohne das stabilisierende Oberrohr müssen nahezu alle Biege- und Torsionskräfte über den Knotenpunkt von Unterrohr und Steuerrohr abgeleitet werden.
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Starrgabel und hoher Reifendruck: Stöße und Vibrationen von der Fahrbahn werden ungefiltert und direkt in den Rahmen geleitet, was die Materialermüdung beschleunigt.
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Starke Scheibenbremse: Die hohen Bremsmomente einer vorderen Scheibenbremse belasten den ohnehin schon kritischen Bereich zusätzlich.
Der entscheidende Schwachpunkt liegt jedoch laut Brust im Schweißverfahren selbst. Die Schweißnaht, die Steuerrohr und Unterrohr verbindet, wird in einem 180°-Durchgang ausgeführt. Die Start- und Endpunkte dieser Naht, sogenannte Einbrandzonen, liegen exakt in der am höchsten belasteten Faser des Rohrs. „Das ist konstruktiv ungünstig“, erklärt Brust, „da Schweißbeginn und -ende in hochbelasteten Zonen zu Kerbspannungen führen.“ Diese Spannungsspitzen wirken wie ein Katalysator für die Rissbildung. Eine bessere Konstruktionspraxis wäre es, solche Schweißungen stets in der neutralen, also der am wenigsten belasteten Faser, zu beginnen und zu beenden.
Der Sachverständige schließt daher nicht aus, dass hier ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler oder zumindest ein schwerwiegender fertigungstechnischer Konstruktionsmangel vorliegt.
Das eigentliche Problem: Fehlende Prüfung am fertigen Produkt
Der Fall Cowboy deckt eine grundlegende Lücke in der Prüfstrategie vieler Hersteller auf. Brust kritisiert: „Einzelprüfungen an Rahmen oder Gabel sind wichtig – aber noch wichtiger ist die Prüfung des verwendungsfertigen Pedelecs unter realitätsnahen Belastungen.“
Während normgerechte Bauteilprüfungen einzelne Material- oder Fertigungsfehler aufdecken können, zeigen sie nicht zwingend das Verhalten der gesamten Konstruktion im komplexen Zusammenspiel aller Komponenten. Das Produkthaftungsgesetz und die europäische Produktsicherheitsrichtlinie schreiben jedoch klar vor, dass das fertige Produkt vor der Markteinführung unter realistischen Einsatzbedingungen geprüft werden muss. „Eine vollständige End-of-Line-Prüfung hätte diesen Fall wahrscheinlich verhindert“, so Brust abschließend.
Maßnahmen und wirtschaftliche Folgen
Cowboy hat eine kostenlose Rahmenersatz-Aktion gestartet, bei der betroffene Kunden ihr Rad tauschen lassen können. Vorrang haben dabei Räder mit einer Laufleistung von über 2.500 Kilometern. Ein Ersatzfahrrad wird während der Wartezeit nicht gestellt.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen für den Hersteller sind enorm. Brancheninsider schätzen die Kosten pro Rahmentausch auf über 1.000 EUR. Bei mehreren hundert bis über tausend betroffenen Rädern dürften sich die Gesamtkosten des Rückrufs auf einen Millionenbetrag summieren.
Fazit: Eine teure Lektion für die gesamte Branche
Der Rückruf des Cowboy C4 ST ist mehr als nur ein Einzelfall. Er ist ein Lehrstück, das die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Systemprüfung unterstreicht. Bauteilprüfungen allein sind offensichtlich nicht ausreichend, um die komplexen Wechselwirkungen aus Bauform, Fahrwerk, Bremsanlage und Fertigungsprozessen sicher zu beherrschen. Nur die Prüfung des kompletten, fahrbereiten Pedelecs kann die Sicherheit der Kunden gewährleisten und die Hersteller vor kostspieligen und rufschädigenden Rückrufen bewahren.
Quelle: www.velotech.de - Ernst Brust

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