Good Vibrations?! Unterschätztes Risiko von Vibrationen bei Lastenpedelecs

Foto: ©Petair/stock.adobe.com
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Der Drahtesel hat ausgedient – viele Postzustellerinnen und -zusteller fahren kein klassisches Lastenfahrrad mehr, sondern treten ein Lastenpedelec; sie fahren also elektrisch unterstützt. Auch andere Branchen, wie Handwerk und ambulante Pflege, stellen wegen der möglichen Zeitersparnisse in den Innenstädten  auf Transportpedelecs um oder testen deren Einsatz. 

Was sich sehr fortschrittlich und nach Arbeitserleichterung anhört, bringt den Beschäftigten nicht nur Vor-teile. Die (neuen) Belastungen werden häufig unterschätzt: Ein deutlich höheres Leergewicht, das bewegt werden muss, verursacht durch verstärkten Rahmen und Akkus, ein höheres Arbeitspensum durch größere Ladefläche und die Belastung durch Hand-Arm- und Ganzkörper-Vibrationen.

 

Das LIA.nrw hat sich im Projekt „Vibrationen an Lasten pedelecs“ dem letztgenannten Problem gewidmet. Da die Lastenpedelecs nicht nur mit reiner  Körperkraft angetrieben werden, fallen sie unter die 9. Verordnung des Produktsicherheitsgesetzes (Maschinenverordnung). Diese verpflichtet Hersteller zur Angabe, in welcher Stärke Vibrationen bei der Nutzung bestimmter Produkte auftreten können. Bisher fehlen diese Angaben in den Betriebsanleitungen der Räder. Eine maximale Einsatzzeit und Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten lassen sich nur schwer ermitteln und fehlen oft in der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung. Arbeitgebende müssen aber prüfen, ob eine Gefährdung ihrer Beschäftigten vorliegt. Eine Federung, die die Vibrationen abschwächt und damit geringere Belastungen zur Folge hätte, fehlt bei vielen auf dem Markt verfügbaren Modellen.

 

Warum sind Vibrationen problematisch?

 

Die allgemeine Wirkung von Vibrationen auf den Menschen hängt von Frequenz, Schwingungsstärke, -art, -richtung sowie der Belastungsdauer ab. Auch individuelle Gegebenheiten wie Alter und körperliche Voraus-setzungen beeinflussen die kurzzeitigen und dauerhaften Auswirkungen auf die Gesundheit. Menschen die häufiger Vibrationen ausgesetzt sind, beklagen oftmals Schmerzen im Rücken- und Schulterbereich sowie in den Händen, Armen und Knien. 

 

Bei Ganzkörper-Vibrationen handelt es sich um mechanische Schwingungen, die auf den gesamten Körper übertragen werden. Beim Fahren mit einem Lastenpedelec werden Vibrationen insbesondere über das Ge-säß in den Rücken übertragen und in den ganzen Körper weitergeleitet.  Beeinträchtigungen der Gesundheit durch erhöhte Vibrationsbelastung zeigen sich insbesondere durch Missempfindungen und Schmerzen in Gesäß und Rücken. Bei langjähriger Exposition können Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule die Folge sein. 

 

Zentrale Ergebnisse

 

Unterschiedliche Einflüsse wirken sich auf die Vibra-tionsstärke bei der Nutzung von Lastenpedelecs aus:

 

  • Ausschlaggebend für das Ausmaß der Schwingungen ist die Fahrbahnoberfläche, auf der gefahren wird. Kopfsteinpflaster ist belastender und anstrengender zu befahren als eine asphaltierte Straße.
  • Je höher die Geschwindigkeit, desto höher das Ausmaß der Vibrationen.
  • Je leichter die Fahrerin bzw. der Fahrer, desto höher die Vibrationsbelastung.
  • Die höchsten Schwingungswerte werden im ungeladenen Zustand erreicht.
  • Die Belastung der Ganzkörper-Vibrationen ist stärker als die der Hand-Arm-Vibration. Bei den Ganzkörper-Vibrationen werden die Grenzwerte in kürzerer Zeit erreicht.
  • Je niedriger der Reifendruck, desto geringer die Vibrationsbelastung.
Abbildung 1:  Vergleich der Messwerte für Ganzkörper-Vibrationen bei 15 km/h bei unterschiedlichem Körpergewicht
Abbildung 1: Vergleich der Messwerte für Ganzkörper-Vibrationen bei 15 km/h bei unterschiedlichem Körpergewicht

 

Über das Projekt

 

Das Projekt „Vibrationen an Lastenpedelecs“ wurde vom LIA.nrw in Kooperation mit der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation, der TU Hamburg-Harburg und der velotech.de GmbH realisiert. Die Messtechnik entsprach dabei den Vorgaben der DIN EN 804. Das einspurige Lastenpedelec ist mit zwei Gepäckträgern ausgestattet. Laut Hersteller ist eine Zuladung mit max. 15 kg für den vorderen und max. 35 kg für den hinteren Gepäckträger zulässig, bei einem zulässigen Gesamtgewicht von rund 180 kg. Es verfügt über keinerlei Federung. Das dreirädrige Lastenpedelec verfügt über einen Gepäckträger am Lenker und eine großzügige Ladefläche am Heck, auf der eine offene Transportbox montiert ist. Das zulässige Ge-samtgewicht beträgt 300 kg, wobei für den vorderen Gepäckträger max. 25 kg und die hintere Transportbox max. 150 kg zulässig sind. 

 

Die Fahrten während des Projekts bildeten keinen normalen Arbeitstag ab, obwohl der Begriff Straßenprü-fungen dies vermuten lässt. Beispielsweise kann keine Aussage darüber getroffen werden, welchen Einfluss stoßartige Belastungen wie das Fahren über Bordsteinkanten und Schlaglöcher haben. Die Messverfahren sind zwar sehr praxisnah, aber nur bedingt reproduzierbar. Für Hersteller, Arbeitgebende sowie bestellte Fachkundige und Prüfstellen sind sie sehr zeitaufwendig. Denkbar wäre zukünftig ein einheitliches Messver-fahren, beispielsweise der Einsatz eines Trommelprüfstands mit variablen Leisten zur Erzeugung eines definierten Schwingungsprofils, um daraus entsprechende  Vibrationswerte zu ermitteln. Die Projektergeb-nisse könnten außerdem bei der Entwicklung einer Technischen Norm helfen, um den Herstellern von Lastenpedelecs in Zukunft eine Messvorschrift zur Verfügung zu stellen.

 

 

Weitere Informationen und Quellen

Ansprechpersonen im LIA.nrw: Martin Nordhaus, martin.nordhaus@lia.nrw.de und Sara Rack, sara.rack@lia.nrw.de  N ordhaus, Martin; Schlechter, Sara. „Vibrationen an Lastenpedelecs, ein unterschätztes Thema?“ / In: sicher ist sicher, 2017, 12, S. 546 – 549. Abrufbar unter www.lia.nrw/sis-lastenpedelecs 

Informationen zur Gefährdungsbeurteilung: www.lia.nrw/gefaehrdungsbeurteilung