Die jüngste Erhebung „Mobilität in Deutschland 2023“ des Bundesverkehrsministeriums zeichnet ein ambivalentes Bild des Radverkehrs in der Bundesrepublik. Während bundesweit ein leichter Zuwachs der mit dem Fahrrad zurückgelegten Personenkilometer zu verzeichnen ist und die Nutzung von Pedelecs deutlich zunimmt, offenbart die Studie eine Stagnation des Radverkehrsanteils insgesamt und sogar einen Rückgang in ländlichen Regionen.
Diese Entwicklung lässt die ambitionierten Ziele des Nationalen Radverkehrsplans in weite Ferne rücken und veranlasst den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) zu einem dringenden Appell an die Politik, massive Investitionen in die Radinfrastruktur zu tätigen und den Radverkehr endlich ernsthaft zu fördern.
Die aktuellen Zahlen der Erhebung „Mobilität in Deutschland 2023“ zeigen, dass der Anteil des Radverkehrs am gesamtdeutschen Verkehrsaufkommen seit 2017 kaum gewachsen ist und weiterhin bei rund 11 Prozent verharrt. Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung im ländlichen Raum, wo der Radverkehrsanteil von 7 auf lediglich 6 Prozent gesunken ist. Positiv hervorzuheben ist hingegen ein leichter Anstieg der täglich mit dem Fahrrad zurückgelegten Personenkilometer von 112 auf 118 Millionen. Zudem hat sich die durchschnittliche Länge der mit dem Rad gefahrenen Wege von 3,8 auf 4,3 Kilometer erhöht, was möglicherweise auf die steigende Beliebtheit von Pedelecs zurückzuführen ist.
Die regionale Betrachtung der Entwicklung des Radverkehrs fällt heterogen aus. Während in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Hessen und Baden-Württemberg Verbesserungen zu verzeichnen sind, mussten Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin, Sachsen und Thüringen einen Rückgang hinnehmen. Diese regionalen Unterschiede deuten laut ADFC-Bundesgeschäftsführerin Dr. Caroline Lodemann klar darauf hin, dass der Radverkehr dort wächst, wo seit Jahren konsequent in die Infrastruktur und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr investiert wird. Die positiven Beispiele im Norden und Südwesten Deutschlands sollten daher als Ansporn für die kommende Bundesregierung dienen, den Radverkehr im Rahmen des Sondervermögens Infrastruktur fest zu verankern und die Mittel auf die jährlich notwendige „Fahrradmilliarde“ aufzustocken.
Ein besonderes Augenmerk müsse dabei dem ländlichen Raum gelten, so Lodemann. Auch in kleineren Orten und auf dem Land hätten die Menschen ein Anrecht auf freie Verkehrsmittelwahl sowie eine gesunde und klimafreundliche Mobilität. Die nächste Bundesverkehrsministerin oder der nächste Bundesverkehrsminister müsse das Potenzial des Radverkehrs endlich ernst nehmen, denn eine vernünftige und moderne Verkehrspolitik könne daran nicht vorbeigehen.
Die Erhebung zeigt zudem eine wachsende Unzufriedenheit mit der bestehenden Radinfrastruktur. Dies ist insbesondere in mittleren und großen Städten spürbar, wo der Radverkehr zwar zunimmt, die Infrastruktur jedoch nicht mit dem Wachstum Schritt hält. Oftmals sind Radwege zu schmal, in schlechtem Zustand oder enden abrupt. Hinzu kommen häufige Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern aufgrund mangelnder oder fehlender baulicher Trennung von Fußwegen und dem motorisierten Verkehr. Diese Mängel führen dazu, dass das Radfahren als unkomfortabel und unsicher wahrgenommen wird und viele Menschen davon abhält, das Fahrrad als Fortbewegungsmittel zu nutzen.
Ein Lichtblick in der aktuellen Entwicklung ist die steigende Nutzung von Pedelecs (Elektrofahrrädern). Diese tragen mittlerweile einen erheblichen Teil zu den gefahrenen Fahrradkilometern bei. Der Anteil der Haushalte, die ein Pedelec besitzen, hat sich von 8 auf beachtliche 21 Prozent erhöht. Dieser Trend spiegelt sich im Anstieg der Personenkilometer und der durchschnittlichen Weglänge wider und deutet darauf hin, dass Pedelecs eine wichtige Rolle bei der Förderung des Radverkehrs spielen können, insbesondere bei längeren Distanzen oder in topografisch anspruchsvollem Gelände.
Angesichts der stagnierenden Entwicklung des Radverkehrsanteils und des Rückgangs in ländlichen Regionen sieht der ADFC die ambitionierten Ziele des Nationalen Radverkehrsplans 3.0, der bis 2030 eine deutliche Steigerung des Radverkehrs vorsieht (von 112 Mio. km täglich im Jahr 2017 auf 224 Mio. km im Jahr 2030), als gefährdet an. Auch das Ziel einer durchschnittlichen Weglänge von sechs Kilometern im Jahr 2030 (2023: 4,3 km) erscheint mit der aktuellen Ausbaugeschwindigkeit kaum erreichbar.
Um die Potenziale des Radverkehrs voll auszuschöpfen und die Ziele des Nationalen Radverkehrsplans doch noch zu erreichen, fordert der ADFC von der kommenden Bundesregierung einen umfassenden Gesamtplan für ein attraktives und durchgängiges Radnetz Deutschland. Dieser Plan müsse verbindlich sein und mit der notwendigen finanziellen Ausstattung versehen werden. Der ADFC plädiert daher für die dauerhafte Bereitstellung einer „Fahrradmilliarde“ jährlich, idealerweise als feste Säule im Sondervermögen Infrastruktur. Überdies sei ein Bund-Länder-Vertrag unerlässlich, um die Förderung des Radverkehrs in allen Regionen verbindlich zu gestalten.
ADFC-Bundesgeschäftsführerin Lodemann fasst die Notwendigkeit eines Kurswechsels zusammen: „Für mehr Stauentlastung, mehr Entlastung bei den Gesundheitskosten, mehr Lebensqualität, mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und mehr klimafreundlichen Verkehr für alle braucht es vorrangig eins: mehr Ambition für das Fahrradland Deutschland.“
Die Ergebnisse der Erhebung „Mobilität in Deutschland 2023“ sowie der Nationale Radverkehrsplan 3.0 und die Kernforderungen des ADFC an die neue Bundesregierung sind auf den Webseiten öffentlich zugänglich.