
In der Fahrradbranche hält sich hartnäckig die Behauptung, das Anfahrverhalten von Pedelecs sei nicht objektiv messbar. Eine neue Prüfstands-Simulation des Sachverständigen Ernst Brust beweist nun das Gegenteil und zeigt: Die Anfahrdynamik lässt sich präzise und reproduzierbar erfassen. Diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen für die Sicherheitsbewertung und künftige Normen.
Immer wieder wird behauptet, die positive Beschleunigung – also die Art und Weise, wie ein Pedelec (offiziell EPAC) aus dem Stand anfährt – sei zu komplex, um sie auf einem
Prüfstand verlässlich zu messen. „Diese Annahme ist fachlich nicht haltbar“, stellt Ernst Brust, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Mikromobilität, klar. Eine von
ihm durchgeführte Simulation dokumentiert jedoch lückenlos, was beim Anfahren eines Pedelecs passiert, und macht die gesamte Dynamik sichtbar.
Die Physik hinter dem Antritt: Was der Prüfstand enthüllt
Die Simulation zeigt, dass sich alle relevanten Kräfte und Bewegungen exakt erfassen lassen. Ein typischer Anfahrvorgang lässt sich dabei in drei Phasen unterteilen:
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Kraftaufbau: In den ersten Sekunden steigt das Antriebsmoment durch den Pedaldruck des Fahrers und die Regelung des Motors stark an.
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Konstante Kraft: Anschließend bleibt das Drehmoment für eine gewisse Zeit auf einem hohen Niveau.
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Kraftabfall: Gegen Ende des Beschleunigungsvorgangs, nahe der 25-km/h-Grenze, nimmt die Kraft wieder ab.
Die Beschleunigung des Fahrrads folgt exakt diesem Kraftverlauf. Sie ist zu Beginn am höchsten und nimmt dann kontinuierlich ab, während die Geschwindigkeit stetig zunimmt.
Diese Daten erlauben eine präzise, quantitative Bewertung der Fahrdynamik. So können etwa Beschleunigungsgrenzwerte, wie sie in künftigen Normen diskutiert werden (z. B. ≤ 1,0 m/s²), objektiv
überprüft werden.
Mehr als 1.000 Watt Spitzenleistung sind keine Seltenheit
Die Messung auf dem Prüfstand erfolgt nicht durch einfaches Ablesen, sondern durch die Ableitung aus physikalischen Größen wie dem Drehmoment am Tretlager, der Raddrehzahl
und der simulierten Systemmasse (Fahrer + Rad + Gepäck).
Ein konkretes Messbeispiel verdeutlicht die Relevanz:
Ein Pedelec mit einer angenommenen Systemmasse von 200 kg erreichte im Test eine Beschleunigung von 0,835 m/s². Um diesen Wert zu erzielen, war eine Antriebskraft von 167
Newton und eine kurzzeitige Spitzenleistung von bis zu 1.160 Watt erforderlich. Dieser Wert steht in krassem Gegensatz zur gesetzlich definierten
„250 Watt Nenndauerleistung“, die für die grundsätzliche Klassifizierung als Fahrrad herangezogen wird, aber nichts über die tatsächlich abrufbare Spitzenleistung aussagt.
„Die Behauptung, positive Beschleunigung könne nicht auf dem Prüfstand gemessen werden, ist technisch unzutreffend“, resümiert Ernst Brust. „Sie ist messbar,
berechenbar und reproduzierbar – und sie ist entscheidend für die Beurteilung von Fahrverhalten und Sicherheit.“
Fazit: Zeit für eine faktenbasierte Diskussion
Die Möglichkeit, die Anfahrdynamik von Pedelecs objektiv zu messen, ist der Stand der Technik. Gerade weil die Regelungssysteme der Antriebe das Fahrverhalten maßgeblich beeinflussen, sind diese Daten für die Verkehrssicherheit von entscheidender Bedeutung. Die Branche und die Gesetzgebung sind nun gefordert, die Sicherheitsdebatte künftig auf Basis nachvollziehbarer Messdaten zu führen, anstatt sich auf subjektive fahrdynamische Vermutungen zu verlassen.
Quelle und weitere Informationen: www.velotech.de — Ernst Brust

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