E-Mountainbikes werden aktuell stark nachgefragt. Die elektrifizierten Mountainbikes haben noch einiges an Potenzial nach oben – bei Verkaufszahlen und Höhenmetern. Das sorgt allerdings für Diskussionen. Kein anderes Thema wird in der MTB-Szene so emotional in Foren und Kommentarspalten besprochen wie das Fahren mit Motor. Der pressedienst-fahrrad geht auf Spurensuche.
MTB-Markt ordnet sich neu
Das E-Mountainbike mischt die Mountainbike-Szene gerade auf. Eigene Rennformate stellen insbesondere den Spaß bergauf in den Mittelpunkt, was auch mit neu zu erlernenden Fahrtechniken einhergeht. Uphill-Flow heißt der dazu passende Marketingbegriff. Technisch variiert das E-Rad das Mountainbike. Kürzere Kurbeln, breitere Reifen und spezielle E-MTB-Komponenten sind nur einige Beispiele. Das Wesentliche aber bleibt: Man muss weiterhin selbst in die Pedale treten. Die Idee, dass man nur noch die Hand am Gasgriff hat, so wie sie einige Mountainbiker vertreten, ist falsch. E-Mountainbiken ist ein Sport.
Zeit für einen Wechsel
Eine nicht repräsentative Erhebung zum Graubündner E-Bike-Projekt aus dem letzten Jahr zeigt, dass maximal 15 Prozent der E-MTB-Käufer Neu- bzw. Wiedereinsteiger sind. Die Hauptkäufer rekrutieren sich aus langjährigen Mountainbikern, die aus Alters- und Trainingsgründen auf die Unterstützung eines Elektromotors setzen – und somit ihre Wurzeln in der Szene haben. „Viele alte Mountainbike-Hasen haben mittlerweile die Vorteile und besonders den Spaß-Faktor der E-Mountainbikes erkannt und sind nun zweigleisig unterwegs“, stellt Matthias Rückerl, Brandmanager von Haibike, fest. Er sieht deshalb für die Zukunft kein Konfliktpotenzial sondern eher eine Ergänzung für die Mountainbike-Szene – und zwar in beide Richtung. „Die Touren führen nicht in entlegenere Gebiete, so wie es oft vorgeworfen wird, sondern die bisherigen Touren werden in kürzerer Zeit gefahren“, verweist Heiko Mittelstädt, Projektleiter beim MTB-Verband Dimb, auf das geänderte Nutzerverhalten. Eine Überstrapazierung des Waldes, die durch das E-MTB drohe, erkenne er nicht. Nur an wenigen Tagen und vereinzelten Hotspots sei traditionell viel los. „Bergauf sind die Geschwindigkeiten eh nicht so hoch, dass es zu Konflikten mit anderen Erholungssuchenden kommt, bergab macht es keinen Unterschied, ob das Mountainbike einen Motor hat oder nicht“, erklärt Mittelstädt.
Profis entdecken die Räder für sich
Es lässt sich beobachten, dass immer mehr Profibiker das E-MTB für gezieltes Training nutzen. „Das gesteigerte Engagement der Profifahrer pro E-MTB ist sicherlich ein Grund, warum die Akzeptanz der Räder in der MTB-Community in den letzten Jahren steigt“, kann Anja Knaus, Communication-Managerin beim schweizerischen E-Bike-Pionier Flyer, feststellen. Zum Beispiel Sam Pilgrim: Der Engländer gehört zu den bekanntesten Dirtjumpern der Welt und ist seit Jahresanfang Partner von Haibike. Er beschreibt: „Durch das E-MTB fahre ich viel längere Strecken und kann öfter rauf und runter fahren. Mein Training wird dadurch viel intensiver.
Das Mehrgewicht durch Akku und Motor spüre ich dabei kaum. Im Gegenteil: Für mein Sprungtraining ergeben sich sogar Vorteile, weil das Rad deutlich stabiler in der Luft ist.“ Doch Pilgrim weiß nur zu gut, dass nicht jeder Mountainbiker diese Einstellung teilt: „Nach Bekanntgabe meines Engagements habe ich im Netz viele Hasskommentare bekommen, weil ich jetzt E-MTB fahre. Das ist aber lächerlich“, blickt der Radprofi zurück. Die Vorteile sollten für die Community im Mittelpunkt stehen, pflichtet Mittelstädt bei: „Mit dem Pedelec können mehr Menschen Mountainbike erleben und etwas für ihre Gesundheit tun. Je mehr Leute das Mountainbike für sich entdecken, desto besser wird die gesellschaftliche Akzeptanz als Breitensport.“
Vorwürfe der Biker sind vielfältig
Doch viele eingefleischte Mountainbiker sehen das elektrifizierte Gefährt und seine Entwicklung weiterhin kritisch. Sie rechnen bei steigenden Zahlen mit Wegsperrungen und Fahrverboten. Das vielerorts ohnehin angespannte Verhältnis der Sportler zu Forst- und Naturschutz-Behörden, Wanderverbänden oder Jagdvereinen werde durch das vermehrte Aufkommen des E-MTBs überstrapaziert, so eine Befürchtung. Dieser Gedanke trifft auf eine diffuse Skepsis gegenüber der Industrie. Sobald mit einem Thema Geld zu verdienen sei, verlören potenzielle Nutznießer das Große Ganze aus dem Blick, liest man in Foren und Kommentarspalten. Hersteller hätten einzig die Absicht, möglichst teure Räder zu verkaufen, argwöhnen Geländeradler und scheinen die Notwendigkeit zu verspüren, sich gegen die Entwicklungsfreude der Unternehmen bei allem mit Motor wehren zu müssen. Tourismusverbände gäben Mountainbikern zu viel Platz, um möglichst viel von deren Urlaubstaler abzugreifen, argumentieren Wanderer- und Naturschutzgruppen.
Konflikte sind hausgemacht
Probleme gibt es meist da, wo viele unterschiedliche Nutzergruppen in der Natur unterwegs sind. Es hat sich mitunter über Jahre eingespielt, welche Pfade von Wanderern vornehmlich bergauf beziehungsweise bergab genutzt werden. Gleiches gilt für Läufer, Reiter und Biker. Nun kommt mit dem E-Biker eine neue Nutzergruppe hinzu, die gerade bergauf eine neue Streckenwahl trifft. Doch entstehen dadurch mehr Konflikte? Das ist fraglich, denn kein Interessenverband hat gegenüber dem pressedienst-fahrrad grundlegende Kritik gegenüber dem E-Mountainbike geäußert.
Andi Berger vom MTB-Reiseveranstalter Alpenevent kennt das Phänomen. In Regionen, die bereits frühzeitig in sanften, strukturierten Bike-Tourismus investiert haben, seien jetzt auch E-Mountainbiker willkommen. „Hier ist der Umgangston zwischen den verschiedenen Interessengruppen in den letzten Jahren gepflegt worden. Der E-Mountainbiker ist eine weitere Nutzergruppe in der Wahrnehmung“, so Berger. Regionen, die die Entwicklungen verschlafen haben und Mountainbiker immer noch mit einem Rowdy-Image belegen, würden hingegen auch das E-Mountainbike skeptisch sehen. Für Rückerl nehmen die Touristenregionen eine wichtige Vermittlerrolle ein. Sie leisten Aufklärungsarbeit und arbeiten auch immer enger mit Fahrradherstellern zusammen, um mögliches Konfliktpotenzial möglichst früh zu erkennen und zu beseitigen. Mit Verwunderung schauen die MTB-Experten deshalb gerade nach Südtirol, wo aus anscheinend wahlkampftechnischen Gründen in manchen Kommunen erste Streckensperrungen stattgefunden haben.
Sind E-Bikes gefährlicher?
Auf Nachfrage bei verschiedenen Bergwachten in den Alpen seien „keine neuen oder gehäuften Unfallmuster, die durch E-MTBs induziert seien, feststellbar“, wie Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern beschreibt. Vielmehr nehme die Anzahl von Bikern generell zu, etwa in Gegenden mit Bikeparks. Dass häufiger E-Biker gerettet werden müssen, liegt zuvorderst an der steigenden Anzahl dieser Räder. Eine Korrelation zu den Verkaufszahlen lässt sich noch nicht vornehmen. Die Bergrettung Südtirol etwa unterscheidet erst jüngst zwischen MTB und E-MTB, erste Erkenntnisse werden in die Alpine Unfalldatenbank Anfang 2019 einfließen. Klaus Wellenzohn, Rettungsstellenleiter in Schlanders, erkennt vielmehr den Nutzen der E-Räder als „Zustiegsfahrzeug“ für ältere Wanderer. Die Bergwacht Berchtesgaden nutzt vielmehr selbst E-MTBs, um in Not Geratenen schneller helfen zu können.
Vorschlag: Technikkurs für Einsteiger
E-MTB-Einsteiger, die von den technischen Anforderungen an Rad und Gelände überfordert sind, sieht Mathias Marschner als eine Möglichkeit, um positiven Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Die Einsteiger erhielten ihre ersten Räder oft über fachfremde Verleiher ohne Einweisung in die Technik und das Fahrverhalten des Bikes. „Viele sind dazu noch mit einer unpassenden Ausrüstung unterwegs. Aber Fahrtechnik und ein bisschen Erfahrung sind elementare Bestandteile für ein tolles und sicheres Fahrerlebnis“, so der MTB-Guide. Er macht den Verleihern keinen Vorwurf, weil sie auch nur vom Boom profitieren möchten, dennoch sieht er die aktuelle Entwicklung skeptisch. Denn ähnlich wie beim Skifahren mache Mountainbiken erst Spaß, wenn man die Technik und das Gerät beherrscht. Aber das braucht Übung und Zeit. Marschners Idee: Vermehrt Fahrtechnikkurse für E-Mountainbike-Einsteiger, wie sie z. B. im Schweizer Kanton Graubünden bereits kostenlos in diesem Jahr angeboten wurden. „Segler brauchen auch einen Segelschein, selbst wenn sie sich nur ein Segelboot für einen Tag ausleihen. Warum also nicht für das E-Mountainbike eine ähnliche Berechtigung erarbeiten? Der Sport kann langfristig nur flächendeckend funktionieren, wenn alle daran Spaß haben und keine Konflikte entstehen.“
Sind E-MTBs dreckiger als MTBs?
Das letzte stehende Argument gegen E-MTBs ist stets ihr CO2-Fußabdruck. Natürlich wird das Bike um die elektrotechnischen Bauteile in Akku, Motor und Peripherie ergänzt. Doch nach etwa 4.000 gefahrenen Kilometern habe sich diese Belastung amortisiert, erklärt Hannes Neupert vom Extra Energy e. V., einer der führenden deutschen E-Bike-Experten. „Nach der Herstellung ist das E-Bike um Welten ökologischer als das Fahrrad! Der Grund ist der katastrophale Wirkungsgrad des Menschen: Selbst ein mit Braunkohlestrom betanktes E-Bike fährt sauberer als ein veganer Biker“, so Neupert. Mountainbiker sollten sich lieber Gedanken über den Footprint von Carbonbauteilen und ihr Reiseverhalten zum Zwecke des Radfahrens machen.
Gestört fühlen sich also offenbar nur die ebenfalls rasant abfahrenden Biker ohne Motor, wenn ihnen ein E-Mountainbiker entgegenkommt, oder sie lächelnd überholt – und das teilen sie dann ausführlich über die sozialen Kanäle mit. „Solche Community-internen Konflikte kennzeichnen stets die Eintrittsphase neuer Sportler. Das kennen wir vom Snowboard oder auch von der Anfangszeit des MTBs selbst. Das ebbt meist nach einiger Zeit ab“, so Anja Knaus. Deshalb kommt es wie in der gesamten Gesellschaft darauf an, für ein respektvolles Miteinander gegenseitig aufeinander Rücksicht zu nehmen und die anderen Interessengruppen zu respektieren und nicht gegeneinander zu streiten– egal ob Mountainbiker oder E-Mountainbiker.
Der sachliche Ton sollte dabei in der Diskussion bewahrt bleiben, findet pd-f-Redakteur David Koßmann.
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