Unter dem Motto „Zukunft der Vergangenheit“ lenkt Brandenburg in diesem Jahr den Blick auf sein reiches Erbe an faszinierenden Relikten des Industriezeitalters. Dieser Schatz lässt sich auch per Fahrrad wunderbar entdecken.
Brandenburg hat sich in den letzten 200 Jahren zweimal neu erfunden: Mit der industriellen Revolution wandelte sich die ländliche Provinz zum Industriestandort. Insbesondere die boomende
Metropole Berlin war ein schier unersättlicher Abnehmer von Briketts, Strom, Ziegeln, Glas, Lampen, Hüten, Lebensmitteln und vielen weiteren Produkten aus dem Umland. Dann kamen zwei Weltkriege,
die DDR-Zeit, die Wende. Die große Ära der Industrie in Brandenburg ist vorbei und auch das Ende der Kohleverstromung besiegelt. Wo einst gewaltige Tagebaue klafften, glitzern schon heute Seen in
der Sonne. Doch man findet sie noch, die eindrucksvollen Relikte vergangener Tage: gigantische Tagebaumaschinen, verlassene Fabriken, historische Maschinenparks.
Es sind die Highlights entlang besonderer Fahrradtouren durch das Bundesland. Anlässlich des bevorstehenden Themenjahres „Zukunft der Vergangenheit – Industriekultur in Brandenburg“ stellt das
Touristische Netzwerk Industriekultur in Brandenburg die fünf schönsten vor.
Tourentipp 1: Durch das Zentrum der Ziegelproduktion
Vom Kloster in die Tonstichlandschaft, vom Ziegeleipark in den Barfußwald, vom Naturpark- ins Glasmacherhaus: Die Tour von Zehdenick nach Fürstenberg an der Havel steckt voller Erlebnisse.
Radfahrer sollten sich einen Tag Zeit für die 54 Kilometer nehmen. Start der Tour durch das einstige Zentrum der europäischen Ziegelproduktion ist in der Havelstadt Zehdenick. Lohnend ist ein
kurzer Abstecher zum Zisterzienserkloster aus dem 13. Jahrhundert. Im Anschluss folgt man dem Radfernweg Berlin-Kopenhagen bis Dannenwalde durch einen einzigartigen Naturraum: die
Zehdenick-Mildenberger Tonstiche. Einst wurde hier Ton abgebaut, heute bieten die Seen Biber, Fischotter und Rotbauchunke einen neuen Lebensraum und Radfahrern eine willkommene Abkühlung.
Höhepunkt der Tour ist der Ziegeleipark Mildenberg. 100 Jahre lang, bis 1989, brannten Wanderarbeiter aus dem Ton der Umgebung Ziegel und verschifften sie per Lastkahn ins stetig wachsende
Berlin. Seit 1997 ist der Park ein Industriemuseum mit multimedialen Ausstellungen, begehbaren Ringöfen, Werkstätten und einem Museumshafen. Radler sollten dafür unbedingt einen längeren
Aufenthalt einplanen. Anschließend schwingen sie sich wieder auf das Rad. Nach zwölf Kilometern erreichen sie den Barfußpfad in Dannenwalde und können über Ziegel, Ton und Schienen laufen. In
Menz empfiehlt sich ein Besuch im Naturparkhaus Stechlin, das in einer Erlebnisausstellung über die Lebensräume Wald, Wasser und Moor informiert.
Kurz darauf ist Neuglobsow am Stechlinsee mit dem Glasmacherhaus erreicht. Der Stechlinsee ist Norddeutschlands größter Klarwassersee. Ziel der Tour ist die Wasserstadt Fürstenberg, malerisch
umgeben von drei Seen und auf drei Inseln liegend.
Entdecker-Tour Nr. 12
Von Zehdenick über den Ziegeleipark Mildenberg bis nach Fürstenberg an der Havel
Länge: 54 Kilometer
Dauer: 8 Stunden mit Besichtigungen
Schwierigkeit: mittel
Tourentipp 2: Rund um das Nähmaschinenwerk Wittenberge
Schwarze, edle Nähmaschinen von Singer machten Wittenberge, 150 Kilometer nordwestlich von Berlin, Anfang des 20. Jahrhunderts europaweit bekannt. Auf einer zwölf Kilometer langen Tour durch die
Stadt an der Elbe begeben sich Radfahrer auf die Spuren der Nähmaschinenproduktion und der Industriegeschichte. Die Tour startet am 1846 im klassizistischen Stil erbauten Bahnhofsgebäude. Seine
Größe – es ist der größte Bahnhof zwischen Berlin und Hamburg – erinnert an die Bedeutung, die der Verkehrsknotenpunkt einst hatte. Nur wenige Meter entfernt zeigt der Historische Lokschuppen,
Brandenburgs größtes Eisenbahnmuseum, alte Dampf- und Dieselloks.
Schon bald gelangen Radfahrer an das historische Tor 1 des Nähmaschinenwerkes und den über 49 Meter hohen Uhrenturm, das Wahrzeichen der Stadt. 1903 legte der amerikanische Singer-Konzern hier
den Grundstein für eine knapp 90 Jahre währende Erfolgsgeschichte. Mehr als sieben Millionen Nähmaschinen verließen in dieser Zeit das Werk. Der Uhrenturm und das später auf der Tour erreichbare
Stadtmuseum „Alte Burg“ beherbergen eine wertvolle Sammlung historischer Nähmaschinen. Die Ausstellungen erzählen von der Geschichte des Werkes und vom Leben und Arbeiten der Angestellten.
Einblicke in die Industriegeschichte bieten zudem die Freiluftausstellung im ehemaligen Zellstoff- und Zellwollewerk, die zum Hotel und Restaurant umgebaute alte Ölmühle sowie eine
denkmalgeschützte Slipanlage für Wasserfahrzeuge.
Entdecker-Tour Nr. 22
Rund um das Stadtmuseum „Alte Burg“ in Wittenberge
Länge: 12 Kilometer
Dauer: 5 Stunden mit Besichtigungen
Schwierigkeit: einfach
Tourentipp 3: Auf den Spuren der Großindustriellenfamilie Borsig
Der Berliner Unternehmer August Borsig erkannte früh die Zeichen seiner Zeit und setzte auf Lokomotivbau. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts avancierte seine Maschinenbauanstalt zu den
größten Lokomotivfabriken Europas. Eine zweitägige Entdeckertour führt per Fahrrad, Zug und zu Fuß zu den einstigen Werkshallen ins „Feuerland“ von Berlin, zum Landgut Stober am Groß Behnitzer
See und zum ehemaligen Betriebsgelände in Tegel.
Startpunkt ist das Deutsche Technikmuseum in Berlin-Kreuzberg, das unter anderem einen Lokomotiv-Nachbau zeigt, der nach dem Vorbild der ersten Borsig-Lokomotive gefertigt wurde. Weiter geht es
nach Berlin-Mitte. In der Chausseestraße in der Nähe des Oranienburger Tores erinnert eine Gedenktafel an das „Feuerland“: Hier rauchten im 19. Jahrhundert zahlreiche Schornsteine der
Maschinenbauindustrie, auch die von August Borsig.
Ab Berlin Hauptbahnhof bringt die Regionalbahn Rad und Fahrer in die Stadt Nauen im Havelland. Von dort sind es neun Kilometer bis zum Landgut Stober. Albert Borsig, Sohn des Firmengründers, ließ
ab 1866 ein heruntergekommenes Herrenhaus zum landwirtschaftlichen Mustergut mit modernsten Technologien ausbauen, um seine Werkskantinen mit Lebensmitteln zu versorgen. Heute befindet sich hier
ein modernes Tagungshotel mit Ausstellungen, Restaurant und Weinstube. Nach der Übernachtung im Hotel steigen Gäste wieder auf das Fahrrad und radeln zurück zum Bahnhof Nauen. Mit Zug und U-Bahn
fahren sie im Anschluss zu den ehemaligen Borsigwerken in Tegel, die heute ein Einkaufszentrum sind.
Entdecker-Tour Nr. 14
Von Berlin zum Landgut Stober
Länge Tag 1: 18 Kilometer, Länge Tag 2: 14 Kilometer
Dauer Tag 1: 8 Stunden mit Besichtigungen, Tag 2: 5,5 Stunden
Schwierigkeit: einfach
Tourentipp 4: Rund um die Brikettfabrik Louise
Ab und zu setzen sich die Maschinen in der Brikettfabrik Louise noch einmal in Bewegung. Dann rütteln Siebe, quietschen Rührschaufeln und das Schwungrad der ältesten Presse summt wie einst seine
sonderbare Melodie. Zwischen 1882 und 1991 haben die Gerätschaften fast durchgängig gearbeitet. Heute erwacht der betagte Maschinenpark nur noch für Führungen kurz zum Leben.
Die Louise, idyllisch inmitten grüner Wälder zwischen Bad Liebenwerda und Doberlug-Kirchhain, direkt am Fürst-Pückler-Radweg gelegen, ist die älteste Brikettfabrik Europas und ein faszinierendes
technisches Denkmal. Hier beginnt und endet eine leichte, 26 Kilometer lange familienfreundliche Radrundtour. Auf Rad- und Waldwegen sowie wenig befahrenen Landstraßen folgt man dem Weg der
Kohle: von der Entstehung bis zur Verarbeitung zum Brennstoff. Wie Braunkohle vor vielen Millionen Jahren entstanden ist, erklärt die Ausstellung Elster-Natoureum in Maasdorf. Wo die Kohle für
die Louise gefördert wurde, sieht man vom sechs Meter hohen Aussichtsturm an der Kohlebahntrasse bei Domsdorf, der einen ehemaligen Tagebau überblickt. Hier haben Wind und Regen aus dem sandigen
Boden bizarre Canyons geformt. In der Louise, schließlich, lernt man, wie Rohbraunkohle zu Briketts verarbeitet wurde.
Entdecker-Tour Nr. 5
Rund um die Brikettfabrik Louise
Länge: 26 Kilometer
Dauer: 6 Stunden mit Besichtigungen
Schwierigkeit: einfach
Tourentipp 5: Durch die Gartenstadt Marga und um den Senftenberger See
Georg Gottlob Schumann war schon Anfang des 20. Jahrhundert ein fortschrittlicher Manager, der sich um das Wohl seiner Arbeiter sorgte. Der Generaldirektor der Ilse-Bergbau AG führte eine
Pensionskasse und Sonderzuwendungen ein. Zwischen 1907 und 1915 ließ er ganz in der Nähe der Brikettfabrik und des Tagebaus eine Gartenstadt im Stil der Dresdner Reformarchitektur und des
Jugendstils erbauen. In die Häuser und Villen mit Gärten zogen Arbeiter und Beamte seines Unternehmens ein. Als Erinnerung an seine jung verstorbene Tochter nannte er die Werkssiedlung
„Marga“.
Auf einer 23 Kilometer langen Tour erkunden Radfahrer die Gartenstadt Marga und den Senftenberger See, der einst Tagebau war und heute mit Sandstränden und einem Hafen ein beliebtes
Naherholungsziel ist. Empfehlenswert ist der Besuch der Dauerausstellung zur Gartenstadt sowie die Begegnungsstätte und Galerie Marga. Die unter Denkmalschutz stehende Kraftwerkszentrale und das
Zechenhaus erinnern an die industrielle Zeit. Im Museum Schloss und Festung Senftenberg kann man sich an den Schreibtisch von Georg Gottlob Schumann setzen.
Entdecker-Tour Nr. 10
Rund um die Gartenstadt Marga
Länge: 23 Kilometer
Dauer: 4,5 Stunden mit Besichtigungen
Schwierigkeit: einfach
Entdeckertouren in der Lausitz
150 Jahre prägte der Braunkohlebergbau das Leben der Menschen in der Lausitz. Wie genau, das erfahren Radfahrer auf weiteren Entdeckertouren im Lausitzer Seenland. Lohnend ist die 30 Kilometer
lange Tour um die Biotürme in Lauchhammer, die 25 Kilometer lange Tour um das Besucherbergwerk F60 und den Bergheider See sowie die 22 Kilometer lange Radtour um die IBA-Terrassen am
Großräschener See.
Download der Entdeckertouren
Die vorgestellten sowie alle weiteren Rad- und Wandertouren des Touristischen Netzwerks Industriekultur in Brandenburg können unter www.reiseland-brandenburg.de/entdecktindustriekultur
heruntergeladen werden. Die Reiseführer bieten Anregungen für einen Tagesausflug inklusive Kartenmaterial und Tipps zu Unterkünften sowie Restaurants.
Weitere Informationen über die Industriekulturstätten in Brandenburg und entlang der ENERGIE-Route Lausitzer Industriekultur bietet die Website www.industriekultur-brandenburg.de ■