Wie Gustav aus der Asche – darum ist Magura wieder ganz oben!

Magura ist wieder obenauf. Die Bremsen ernten viel Lob, wichtige Hersteller verbauen sie wieder. Alles wie früher? Die Schwaben haben einen anderen Plan.

Herr Braun gibt Gas. Das Auto mit Magura-Logo schnurrt durch scharfe Haarnadelkurven, hinauf zur schwäbischen Alb. Zwischen den rot-gelben Blättern des Herbst-Waldes hindurch funkeln Sonnenstrahlen warm auf die Haut. Unten in Bad Urach, an der Südseite der schwäbischen Alb, wo die Wurzeltrails enden und die Zeit eher schleicht als läuft, ist Magura zu Hause. „Und oben ist es immer ein paar Grad kälter als unten. Handyempfang hat man nicht überall. Wenn ich im Winter im Dunkeln nach Hause fahre, dann bin ich immer froh, wieder unten zu sein“, erzählt der Marketingleiter Götz Braun fröhlich. Und das sogar auf Hochdeutsch. Das ist bemerkenswert, weil früher quasi alle Mitarbeiter aus der Region kamen.
Braun ist 45 Jahre alt, Sportwissenschaftler, groß und schlank, eigentlich Tennisspieler, aber das Trail-Paradies um Bad Urach schätzt er wie so viele Mitarbeiter hier. Die meisten wohnen „unten“, in Bad Urach. Doch immer mehr der über 900 Mitarbeiter ziehen aus ganz Deutschland und aus dem Ausland her, zum „Schaffen“, wie die Schwaben sagen.

Marketing-Leiter Götz Braun
Marketing-Leiter Götz Braun

Die Region Schwaben mit dem Großraum Stuttgart ist unter anderem berühmt für Spätzle und Maultaschen, Daimler, Porsche und Bosch sowie einen wohlklingenden Dialekt. Als „global playerle“ wurde Magura mal bezeichnet, angelehnt ans Schwäbische. In der Kehrwoche werden die Mülltonnen von innnen geputzt, höher als die Mieten ist hier nur noch die Lebensqualität.

Altstadtidylle im historischen Ortskern von Bad Urach
Altstadtidylle im historischen Ortskern von Bad Urach

Auch Braun ist hergezogen, mit Frau und Kindern auf die Nordseite der Alb, in den Großraum Stuttgart. So wie er, wohnen viele der Wahl-Schwaben außerhalb, die Biker haben auf den Albtrauf-Trails den geilsten Nachhauseweg, den sich ein Mountainbiker vorstellen kann.

Trailspaß auf der schwäbischen Alb
Trailspaß auf der schwäbischen Alb

Magura kann man zu den Aushängeschildern der deutschen Fahrradbranche zählen. Nicht immer noch, sondern endlich wieder. Gemessen an der Bekannheit ist Magura seit langem einer der erfolgreichsten Fahrradbremsen-Hersteller der Welt. Zwar ist die einst klare Dominanz auf dem Weltmarkt verloren, aber dafür hat Magura 2015 mit Scheibenbremsen sechs Tests in der deutschen Fachpresse gewonnen, die MT7 wurde bei der Mountainbike-Leserwahl zum innovativesten Produkt des Jahres gewählt. Außerdem haben die Bad Uracher die erste kabellose, elektronisch gesteuerte Sattelstütze des Marktes vorgestellt. Mit den neuen Standorten hier und in Taiwan sowie einer neuen Strategie hat Magura die Rückkehr nach oben geschafft.  
Oben auf der Alb produziert Magura Felgenbremsen. Frische Einzelteile gleiten aus Maschinen, es riecht nach warmem Plastik, ein Arbeiter hält ein Teil in der Hand, ein argloser Redakteur greift zu – und lässt das knallheiße Teil vor Schreck fallen. Obwohl die menschliche Haut an den Fingern relativ unempfindlich gegenüber Hitze ist, kann man als Besucher die Teile kaum halten. Manches fassen auch die Mitarbeiter nicht an, weil das Innenleben der Bremse im heißen Zustand zu empfindlich ist. Der Werkstoff heißt Carbotecture, eine Eigenentwicklung von Magura und wohl ein besonders leistungsstarker Kunststoff.

Eines der beiden Magura-Werke auf der schwäbischen Alb.
Eines der beiden Magura-Werke auf der schwäbischen Alb.

„Plastik ist hier bei uns ein Tabu-Wort, es handelt sich um Hightech-Kunststofffasern“, erklärt Braun lächelnd. Leichter Überdruck hält den Staub von den Bremsen weg am Boden. Hochregale mit akribisch sortierten und nummerierten Teilekartons und abgezähltem Inhalt türmen sich bis zur Hallendecke. Arbeiter schwirren umher, Verschlüsse klicken, Fließbänder und Greifarme surren, Klebeautomaten dampfen und zischen. Für Biker-Ohren eine Sinfonie der Industrieroboter.

Plastik oder High-Tech-Kunststoff? Das Granulat, aus dem Biker-Träume entstehen.
Plastik oder High-Tech-Kunststoff? Das Granulat, aus dem Biker-Träume entstehen.


Verglichen mit den Nuller Jahren bremsen heute aber deutlich weniger Mountainbiker mit Scheibenbremsen von Magura, den Markt beherrschen vor allem Shimano und SRAM. Wie konnte diese Firma ihre Dominanz am Weltmarkt verlieren? Um den Aufstieg, den Fall und die Rückkehr von Magura nach oben zu verstehen, muss man tief hinabsteigen ins Firmenarchiv, in den dunklen Keller mit den staubigen, neongelben Felgenbremsen. Ihr Siegeszug begann in den 90er Jahren mit dem Mountainbike: Die Hydraulik-Stopper waren besser als alle Stummel-Cantis, sie waren der Inbegriff von Bremskraft, Wartungsarmut und Zuverlässigkeit; vor allem bei Schlamm und Regen. Mit der HS 22 konnte man Weltcups gewinnen, um die Welt radeln oder auf dem Hinterrad hüpfen. Größter Triumph: Goldmedaille beim ersten olympischen Mountainbikerennen 1996. Schock-Momente: Als Shimano Bremsen und Schaltung als untrennbares System verkaufte – man konnte auf einmal nicht mehr den Shimano-Schalthebel abschrauben und mit dem Magura-Adapter am Lenker befestigen. Glück: SRAM produzierte nicht nur Magura-kompatible Drehgriffe, sondern auch noch genau so schlechte Bremsen wie alle anderen.
Als sich die hydraulische Scheibenbremse durchsetzte, beherrschten die Bad Uracher mit ihrem Hydraulik-Vorsprung schnell den Markt. 2004 und 2008 radelte Sabine Spitz mit Maguras Marta SL zu Olympia-Bronze und -Gold. Welches Ansehen Magura früher schon genoss, merkt man bei Google: Beim Suchwort „Schwabenanker“ erscheint immer noch die legendäre Gustav M. Auch der Schreiber dieser Zeilen verteidigt sein 20 Jahre altes, löchriges und ausgeblichenes Magura-T-Shirt gegen jeden Ausräumversuch seiner Frau. Wie konnte diese Marke die klare Weltmarktführung verlieren?

Wurfanker: die legendäre Gustav M. Downhillbremse
Wurfanker: die legendäre Gustav M. Downhillbremse

Das erklärt Fabian Auch (38) in der Firmenzentrale, unten in Bad Urach. Ein Gebäude reiht sich ans nächste, urige Fachwerk-Häuser und Industriehallen, zusammengewürfelt wie eine Lego-Landschaft. Über allem thront das historische Elternhaus. Fabian Auch ist Geschäftsführer und Spross der Eigentümerfamilie, ein drahtiger Kerl, entspannt wie ein Mountainbiker nach der letzten Abfahrt. Sein Vier-Tage-Bart könnte ausgewachsen ein stattlicher König-Drosselbart-Schnauzer werden. Er hat die Höhen und Tiefen von Magura miterlebt, im Kinderzimmer, am Esstisch, auf der Wohnzimmercouch; das Jugendzimmer des Vaters ist heute dessen Arbeitszimmer. Für Fabian Auch ist Magura kein Job, sondern das Lebenswerk seiner Familie! Er grübelt über die Vergangenheit: „Wir haben die Entwicklung der Bremsen nicht konsequent an den Bedürfnissen unserer OE-Kunden orientiert. Gewicht, Design oder Bremsperformance waren damals nicht ausreichend. So konnten uns andere wieder einholen.“

Familiensache: Fabian Auch mit Steinstich von Gustav Magenwirth
Familiensache: Fabian Auch mit Steinstich von Gustav Magenwirth

Darum wechselten vor Jahren viele der wichtigen Radhersteller ihren Bremsenzulieferer. Einer davon war Cube. Die Bayern als einer der absatzstärksten deutschen Hersteller waren ein besonders wichtiger Kunde. Und sind es jetzt wieder. Frank Greifzu, Produktmanager der Mountainbike-Sparte und exzellenter Abfahrer, erklärt, dass eine gewisse Fluktuation der Bauteile-Zulieferer normal sei, auch wenn man sich um längerfristige Lieferanten-Kunden-Beziehungen bemüht. Die Bremse aber sei eines der sensibelsten Bauteile am Mountainbike, und zwar umso mehr, je stärker der Einsatzbereich im Gravity-Bereich liegt. Auch bei Elektro-Mountainbikes ist die Bremse durch das höhere Radgewicht höchst wichtig. Daher, so Greifzu, verbaue Cube immer die Bremse, welche die Entwickler für die beste halten. Magura habe man vor vielen Jahren aus mehreren Gründen aussortiert: Qualitäts- und Lieferprobleme spielten eine Rolle und andere Hersteller schlossen Lücken im Sortiment, die vorher mit Magura abgedeckt wurden. Shimano brachte nicht nur Bremsenmodelle in einem attraktiveren Preisbereich auf den Markt, sondern auch den international bekannteren Markennamen mit. „Seit einigen Jahren verbauen wir jedoch wieder Magura-Bremsen, weil die Marke vieles richtig macht: Die MT-Serie stellte einen glaubhaften Neuanfang dar. Magura hat auch sehr viel für die internationale Akzeptanz getan. Zudem überzeugen die Bremsen in Magazintests und setzen sich mit Features wie dem Flipflop-Bremsgriff von der Konkurrenz ab, was etwa in Großbritannien hilfreich ist. In unseren Kernmärkten punktet Magura durchaus mit ‚Made in Germany‘ und der Verwendung von Mineralöl. Der entscheidende Grund aber ist: Magura baut Bremsen auf absolutem Top-Niveau und passt deshalb ideal zu unseren Produkten.“
Auch andere große Hersteller wie Bergamont, Ghost oder Rocky Mountain verbauen neuerdings wieder Magura-Bremsen. Für Markenfans, in deren Adern im übertragenen Sinne Hydraulik­öl fließt, könnte es wirken, als sei die Gustav Magenwirth GmbH mit Magura wie Phönix aus der Asche gestiegen!

Aktuelles Flaggschiff: Mit der XC-Bremse MT8 ist Magura auf Erfolgskurs bei Endverbrauchern und in Magazintests.
Aktuelles Flaggschiff: Mit der XC-Bremse MT8 ist Magura auf Erfolgskurs bei Endverbrauchern und in Magazintests.

Wie Magura das geschafft hat, erklärt Götz Braun: Magura habe Kunden befragt und erfahren, dass diese mit Magura zwar wunderbarste Erinnerungen von früher verbinden, aber jetzt die Herzblutmarke von Wettbewerbern eingeholt oder sogar überholt sehen. „Einige haben uns sogar als verstaubt bezeichnet“, so Braun. Der Wunsch der Kunden: Magura soll wieder Innovator werden. „Das war uns ein enormer Ansporn – wir wollen uns entwickeln: vom Pionier zum Challenger. Das wollen wir mit innovativen, markt- und kundengerechten Produkten schaffen.“
Ähnlich zuversichtlich ist auch Fabian Auch: „Das Jahr 2015 mit über sechs Testsiegen hat aufgezeigt, dass wir mit unserer neuen Produktpalette der Scheibenbremsen wieder einen Meilenstein in Sachen Bremsperformance und Markt- und Kundenorientierung gesetzt haben.“


Die Schwaben erwirtschaften nach eigenen Angaben mehr Umsatz als früher und beschäftigen wieder fast so viele Mitarbeiter wie zu Hochzeiten. Immer noch Weltmarktführer sind sie bei hydraulischen Felgenbremsen, auch wenn diese mittlerweile eine größere Rolle bei Stadtfahrrädern spielen als bei Premium-Mountainbikes. In Taiwan betreibt Magura eine eigene Fabrik für einige Bremsen und Federgabeln, von dort aus beliefern sie ihre wichtigsten Kunden unter den Fahrradherstellern schneller und einfacher. Und mit Danny MacAskill haben sie den wichtigsten Internet-Helden der Fahrrad-Branche unter Vertrag. Global positioniert, lokal verwurzelt, so der passende Slogan. Den Elektronik-Spezialisten Bebro hat die Muttergesellschaft vollständig gekauft, jetzt ist Magura der erste und bisher einzige Anbieter einer Vario-Stütze mit elektronischer, kabelloser Fernbedienung. 
So wie früher? – Das sind hier nur die Trails und Wälder an der schwäbischen Alb. Herr Braun gibt Gas.

Traumtrails: Die schwäbische Alb bietet sagenhafte Testbedingungen.
Traumtrails: Die schwäbische Alb bietet sagenhafte Testbedingungen.