Wie verkauft man ein Produkt, mit dem der Kunde nicht angeben kann? Atlantic will Kettenöl sexy machen.
An der Nordseeküste, am plattdeutschen Strand, kommt Öl in die Flaschen, und nicht in den Sand. Das wäre nämlich fatal, liegt Dollern bei Hamburg doch in einem Wasserschutzgebiet. Hier
entwickelt, produziert und verpackt Atlantic Schmier- und Pflegemittel. Tiefgrüne Wälder säumen Straßen so flach wie Ostfriesenwitze, der Regen prasselt lotrecht, der rot-weiße Flachbau mit
Oldtimer-Bulli hinter der riesigen Fensterfront würde als Showroom taugen.
„Moin“ grüßt der Geschäftsführer Lars Bahlke und greift zu. Anzug, Krawatte, blütenweißes Hemd, ein Dialekt wie Otto Waalkes, ein Lächeln wie Meister Proper. Er leitet den Vertrieb und führt das
Familienunternehmen in zweiter Generation zusammen mit seinem Bruder, dem Marketingleiter Christian Studders; das Unternehmen gehört ihrem Vater. Auf dem Markt ringen sie mit Dutzenden
Mitbewerbern. Wie soll man da mit einem Produkt auffallen, das fast so unauffällig ist wie Luft im Reifen? Und wie den Händler überzeugen, mit einem Produkt, das so wenig Umsatz bringt, wie
eineinhalb Energieriegel?
Auffallen
Das spektakulärste Atlantic-Produkt ist Oelzeuch: Als einziges Kettenöl von einem großen Pflegemittel-Hersteller hat es einen richtigen Namen statt einem kryptischen Kürzel oder einer blassen
Funktionsbeschreibung. Christian Studders erklärt, der Produktname solle sich von anderen Kettenschmierstoffen abgrenzen und dem Konsumenten im Gedächtnis bleiben: „Weiter möchten wir das eher
technisch-sachliche Thema Kettenpflege mit einem Augenzwinkern umschreiben.“ Das Logo: ein bärbeißiger Fischer in gelber Regenkleidung mit Möwe und Anker; robust, wetterfest, druckbeständig und
„geschmeidich“ soll es sein. „Die Schreibweise mit ‚ch‘ ist eine Ode an unsere norddeutsche Heimat“, so Studders.
Ob es für den Verkaufserfolg entscheidend ist, wie sehr diese Werbeversprechen zutreffen? Im Vergleich zu Bremsen oder Federgabeln, bei denen schon Hobbbyfahrer die Unterschiede spüren, verkauft sich Kettenöl eher wie Bier – nur Experten spüren (oder schmecken) den Unterschied. Grobmotoriker aber schmieren ihre Fahrradkette zur Not mit Pflanzenöl und merken nichts. Man kann also behaupten, dass meist Aspekte wie Image oder Preis entscheiden. Und da 50 Milliliter Oelzeuch 4,90 Euro kosten, dürfte Marketing besonders wichtig sein. Wenn Kettenöl so etwas wie das Bier unter den Fahrradprodukten ist, dann ist Oelzeuch das Warsteiner.
Überzeugen
Dass die Qualität nicht völlig egal ist, zeigt das so genannte Private-Label-Geschäft, also die Produktion für Kundenmarken, die ihr eigenes Logo auf die Ölflasche klebt wie auf ein
Werbegeschenk. Oft wird zwar zunächst nach Preis entschieden, weil der Kunde sich vor allem mit seinen eigenen Produkten, kaum aber mit dem zugekauften Kettenöl identifiziert. Also wechselte ein
Private-Label-Kunde wegen des Preises zu einem ausländischen Wettbewerber. „Aus Qualitätsgründen ist der Kunde allerdings nach einem Jahr wieder zu uns zurückgekommen. Dieses bestärkt uns darin,
dass wir uns auf einen Preiskampf zu Ungunsten der Qualität nicht einlassen“ so Bahlke.
Marketing-Experten loben vor allem den Heimatbezug und den einzigartigen Namen. Aber, so die Experten, Markenkommunikation sollte aufeinander abgestimmt werden, die ganze Produktpalette also mit
Namen dieser Art versehen werden. Ferner funktioniere der Name wohl im Ausland und vielleicht auch in München nicht so gut wie in Hamburg.
Verkaufen
Bahlke lächelt: „Oelzeuch verkaufen wir auch in Süddeutschland sehr erfolgreich. Wir setzen auf deutsche Produktion, Fachhandelstreue und intensive Betreuung unserer Händler.“ Der Außendienst
berate ausschließlich, den Verkauf machen Großhändler, die Produkte sind im mittleren Preissegment angesiedelt, so Bahlke. Händler wie „Rund ums Rad“ aus Delmenhorst loben besonders, wie der
Außendienst zur Warenpräsentation berät oder bei Veranstaltungen des Händlers persönlich vor Ort die Marke vertritt.
Die Abfüllanlage. Es riecht dezent nach Schmiermitteln. Emsig huschen Angestellte in roten Hemden zwischen den Förderbändern umher und kontrollieren die Maschinen. Die Belegschaft kommt aus der
Region, die Fluktuation ist gering. Als Zulieferer für Audi, BMW und Mercedes muss sich Atlantic regelmäßig deren Qualitätstests stellen. Diese so genannte Lohnabfüllung trägt einen Großteil des
Umsatzes, trotzdem betont Bahlke: „Die Marke Atlantic dient allerdings nicht bloß der Imagepflege, sondern trägt einen bedeutenden Teil des Gesamtumsatzes.“
Das sagt nicht jeder branchenübergreifende Hersteller. Bosch oder Gates zum Beispiel würden es kaum merken, wenn sie ihren Fahrradbereich abstießen, weil sie als Zulieferer der Auto-, Aufzug- und
Waschmaschinenhersteller viel mehr umsetzen. Teils erfolgte die Entscheidung für das Fahrrad aus Imagegründen, teils aus wirtschaftlichen Prognosen. Und Atlantic?
Bahlke antwortet: „Wir produzieren Schmierstoffe fürs Fahrrad schon seit über hundert Jahren. Das war keine Marketing-Entscheidung, um unser Image mit modischen Produkten aufzuwerten. Fahrradöl
ist Teil unseres Selbstverständnisses und wird es auch bleiben, unabhängig von gesellschaftlichen Trends.“ Das nennen wohl auch die Süddeutschen wetterfest, robust und druckbeständig.
Was sagen Marketing-Experten zu dem ungewöhnlichen Namen? VeloTotal hat unabhängige Spezialisten gefragt.
Treffende Produktnamen sind Voraussetzung für erfolgreiche Markenbildung und Kommunikation. Sie verleihen dem Produkt Identität und rufen beim Konsumenten spontane Assoziationen hervor. Der Produktname Oelzeuch in Verbindung mit dem Logo projiziert beim Betrachter Bilder, die gut zu den Eigenschaften des Produktes passen. Zugleich wird der Heimatbezug erfolgreich zum Bestandteil der eigenen Positionierung gemacht und eine emotionale Bindung zum Kunden aufgebaut.“
Verena Begemann, Geschäftsführerin Eyecon Design (Marketing-Agentur)
"Oelzeuch" ist Schmierstoff für die Gehirnwindungen aller, die sich täglich mit Markennamen befassen. Eine gekonnte Doppel-deutigkeit mit fast schon riechbarem Nordisch-Charakter. Bringt zum Schmunzeln, ist einzigartig. Die Tauglichkeit fürs internationale Parkett ist zu bezweifeln, für den deutschsprachigen Raum ist das Regenmantel-Mem jedoch gut geeignet. Wenn die gesamte Kommunikation konsequent darauf aufbaut, ist "Oelzeuch" bald das richtige Ketten-Tröpfchen für überzeugte Astra-Trinker.
Nils-Peter Hey, Inhaber der Strategieberatung „Fischfell“, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger & Studienleiter der Bayerischen Akademie für Werbung
und Marketing (BAW) in München
"Der Bezug zum Friesennerz dürfte an der Nordsee jedem geläufig sein, in Süddeutschland oder im Ausland aber wohl kaum. Der Name allein ist allerdings etwas dünn. Man wünscht sich eher eine Produktserie, eine passende Inszenierung auf der Website und vielleicht eine ungewöhnliche Verpackung. So wird man das kaum wahrnehmen, aber es stört natürlich auch nicht."
Frank Puscher, Personal Digital Trainer