Die deutsche Hauptstadt war in der Woche vom 16. bis 22. März auch die Fahrradhauptstadt schlechthin. Mit zwei Messen und zahlreichen Events – von Ausstellungen über Ausfahrten bis hin zu diversen Rennformaten und Präsentationen – drehte sich in Berlin alles um die bunte, aufregende, vitale und schöne Welt des Fahrrads.
Eine Jubelfeier auf das Radfahren im Alltag“: So adelte die Botschaft des Königreichs der Niederlande die VeloBerlin. Und bezog dabei über die Neuheiten-Messe am Funkturm hinaus auch die
zeitgleich angesetzte, stärker auf Fahrradkultur bezogene Berliner Fahrradschau mit ein, sowie ein ebenso buntes wie umfangreiches Potpourri an Aktionen, Demonstrationen und Sensationen rund ums
Fahrrad in seinen vielfältigen Manifestationen. Befürchtungen im Vorfeld, das erstmals zeitlich paralelle Angebot zweier Fahrradmessen könnte sich auf eine oder beide negativ auswirken, erwiesen
sich als unbegründet: Schließlich haben ja auch die meisten Bikes zwei Räder. Die VeloBerlin (13.000 Quadratmeter) meldete über 14.500 Besucher und damit einen Zuwachs von rund zwanzig Prozent im
Vergleich zum Vorjahr. Und die Macher der 6. Fahrradschau Berlin (15.000 Quadratmeter) konnten sich sogar über 20.000 Besucher in den Hallen des ehemaligen Postgüterbahnhofs am Gleisdreieck
freuen. Dort präsentierten sich auf den fünf Ausstellungsflächen (Ambition, Urban Lifestyle, Velocouture, E-Mobility und Handmade) über 250 internationale Marken einem ebenso internationalen
Publikum, das bis von Mexiko, Indien und Israel angereist war. Die Veranstalter bezeichnen die Fahrradschau, die ein Jahr älter als die Velo ist, gerne als „weltgrößte Messe für Fahrradkultur“.
Die Verdoppelung der Zahl der Aussteller im Vergleich zum Vorjahr gibt ihnen da durchaus recht.
Diejenigen Besucher, die es schafften, zu beiden Messen zu gehen, hatten an diesem Wochenende die wahrscheinlich beste Gelgenheit des ganzen Jahres, sich ein ganzheitliches Bild vom aktuellen
„Fahrradwesen“ in Deutschland und darüber hinaus zu machen. Allerdings war das eine durchaus sportliche Herausforderung, wie wir selbst erfahren durften. Wer aber trotzdem das Doppelprogramm
absolvierte, erlebte zwei im Stil sehr unterschiedliche Veranstaltungen, deren teils starke Kontraste nicht nur einen besonderen Reiz ausmachten, sondern sich auch oft gesamtheitlich ergänzten
oder Alternativen boten.
Die VeloBerlin ist eher die klassische Trend-, Verbraucher- und Businessmesse. Hier stand natürlich der derzeitige Musterschüler – die weiterhin aufstrebende Gattung der E-Bikes – im Vordergrund,
die sich derzeit schon recht erfolgreich anschickt, auch eine jüngere Klientel zu erobern. Entsprechend hatten sich unter dem Funkturm insgesamt zehn E-Mountainbike-Anbieter eingefunden, deren
Maschinen auch fleißig getestet wurden. Dass sich mit Bosch E-Bike-Systems quasi der Platzhirsch unter den E-Motor-Ausrüstern erstmals auf der VeloBerlin Präsenz zeigte, ist ein deutliches
Zeichen für die steigende Reputation dieser Messe.
Ihre besondere „politische“ Bedeutung unterstreicht zum einen die Tatsache, dass erstmals das Bundesverkehrsministerium (BMVI) mit einem Stand vertreten war und über den Nationalen
Radverkehrsplan (NRVP) informierte. Auf verkehrspolitischer und wirtschaftlicher Ebene trafen sich viele Entscheider und Multiplikatoren auf der Fahrradmesse, auch das Meeting der National
Cycling Officers fand anlässlich der VeloBerlin statt. Und der Senat präsentierte das Berliner Vorzeigeprojekt „Ebike Pendeln“, mit dem man etwa im Pedelec-Korridor Berlin-Brandenburg Pendler zur
Benutzung von Pedelecs statt PKWs bewegen will.
Messe-Organisatorin Ulrike Saade ist vor allem – und zurecht – auf diesen regen und wichtigen Austausch auf politischer Ebene stolz. Zusätzlichen internationalen Glanz bekam die VeloBerlin
insbesondere durch die Eröffnung mit I.E. Botschafterin der Niederlande Monique van Daalen, Peter Litjens, dem Amsterdamer Verkehrsdezernenten, DI Robert Thaler (PEP) und Brigitta Worringen
(BMVI). Das Partnerland hatte mit seinem „Smart Cycling Highway“ eine ganz besondere und interessante Neuheit mitgebracht: Dabei handelt es sich um einen leuchtenden Radweg, den man in Eindhoven
auf einem Kilometer Strecke bereits befahren kann. Tausende fluoreszierender Steine laden sich tagsüber in der Sonne auf und leuchten dann nachts. Die Inspiration dazu soll Vincent van Goghs
bekanntes Gemälde „Sternennacht“ gegeben haben.
Über die viel und gern genutzten Möglichkeiten von Probefahrten hinaus sorgte auch die VeloBerlin mit Aktionen wie einem Lastenrad-Rennen, einer Original Dutch Slowbiking Battle, einer Kunstradshow der Cycling Artists sowie mit dem hauseigenen Film Award für ein buntes „Action“-Programm, doch ist in dieser Hinsicht klar die werte „Konkurrenz“ tonangebend.
Die Berliner Fahrradschau beging den Messe-Doppelschlag mit einem Countdown, wie ihn die Fahrradwelt zuvor noch nicht erlebt hatte. Schon am Montag startete man in die „Berlin Bicycle Week“ mit einer Ausstellung der Mailänder Edelschmiede Cinelli. Darauf folgten diverse, über die ganze Stadt verteilte Veranstaltungen, Radrennen, Vorführungen und Workshops bis hin zum großen Höhepunkt, der Messe am Wochenende. Wer das alles auch nur halbwegs miterleben wollte, musste ein gutes Päckchen Zeit und Disziplin mitbringen. Eines der sportlichen Highlights der Woche war der geglückte 24-Stunden-Streckenweltrekord von Christoph Strasser auf der Rundstrecke der Tempelhofer Freiheit. Mit 996,1 Kilometern bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 37 km/h brach der Österreicher den alten Rekord. Ehrensache, dass für Zuschauer die Möglichkeit angedacht war, mitzumischen und sich sogar zeitweise mit Strasser zu messen. Junkyard Cyclocross mit außergewöhnlichen Hindernissen, Rad Race Battle (Fixed Gear only) auf der Go-Kart-Strecke in Neukölln, eine Klapprad-WM und der Tempelhofer Time Trial forderten die Kapazitäten der Berliner Radgemeinde. Vor allem die Event-Arena war ein Riesenspektakel. Über 1000 Aktive verzeichnete sie am Wochenende bei Disziplinen wie Bike-Polo, Minidrome, BMX-Flatland und Four-Cross. Der Parcours bestand unter anderem aus 1500 Europaletten.
Seine Dimensionen erweitert hatte auch der Kinderkiez, der sich dieses Jahr auf der Berliner Fahrradschau auf 1.400 Quadratmeter erstreckte und wo sich die Kleinen auf gleich vier Kursen gehörig austoben konnten – inklusive Wettbewerbe wie Laufradpokal und Geschicklichkeitsparcours.
In den Messe-Hallen der Berliner Fahrradschau geht es hingegen bewusst beschaulicher zu. Sie ist die Lifestyle-Messe, bei der Emotionen, Stil und Atmosphäre im Vordergrund stehen. Eine Wohlfühlveranstaltung. Sie ist die Bühne all jener, die sich abseits des Mainstream sehen, wobei allerdings genau das in fast schon beunruhigendem Maße die Marketingstrategen der großen Hersteller reizt: Mit Specialized, Canyon, Cannodale und anderen suchten Marktriesen die Nähe des heimeligen Kult-Ambiente, das die BSF durch ihr angenehmes „Anders-Sein“ ausstrahlt. Ihre Vielfalt und ihr Charme ziehen einen in ihren Bann, noch ist sie vornehmlich das Parkett der Aktivisten, Liebhaber und Bastler. Man darf nun aber gespannt sein, wie sie sich im Laufe ihres – inzwischen rasanten – Wachstums verändern wird. Derzeit hat das teilweise Nebeneinander – eventuell auch Miteinander – von großen Brands und kleinen Startups auch seinen gewissen Reiz. Ob künftig Catwalk-Mentalität die Oberhand gewinnt, wird sich zeigen.
Das Thema Politik bleibt auf der BFS bewusst außen vor. Sie will die Kunden nicht durch Vernunft zum Radfahren bringen, sondern durch Begeisterung – und das klappt ja auch weitgehend. Dennoch kam die schönste und beste politische Aktion dieser Berliner Woche aus ihren Reihen: Zum Abschluss der Berlin Bicycle Week radelten zehn Tandembesatzungen, jeweils bestehend aus einem Rabbi und einem Imam, durch die Hauptstadt. Sie wurden begleitet von vielen weiteren Radfahrern, die mit dieser „Cycling Unites“-Kampagne ein wunderbares Zeichen für ein friedvolles Miteinander, für Respekt und Toleranz setzten. Tolle Sache! So einfach und so wichtig!
Ein besonderes Berlin-Erlebnis vermittelten geführte E-Bike-Touren entlang des Mauerradwegs. Mit dem modernen Verkehrsmittel ein besonderes Kapitel der Geschichte Berlins erfahrbar zu machen, war ein reizvolles Angebot, zumal die Touren auch direkt am BFS-Standort starteten, wo man zuvor die E-Bikes begutachten konnte. Andere Veranstaltungen im Rahmen der Fahrradschau wie der Bicycle Congress traten bei dem üppigen Angebot eher in den Hintergrund. Es bleibt nun abzuwarten, ob sich für die Zukunft das Konzept der doppelten Messe halten kann. Dann wären aber deutlich bessere Abstimmungen zwischen den beiden Ausstellungen wünschenswert – etwa nach dem Motto: „Weniger ist manchmal mehr!“ Vielleicht gibt es da konstruktive Ansätze. Nicht dass Berlin noch zur geteilten Fahrrad-Hauptstadt wird.