Vor 30 Jahren hat Gore Bike Wear die erste Regenjacke für Radfahrer produziert. Damals lachte die Konkurrenz
über die Idee. Heute setzt sich ohne die Gore-Tex Membran aus Feldkirchen fast keiner mehr aufs Fahrrad. Zumindest nicht bei Regen.
Niemand braucht eine Regenjacke für Radfahrer.“ Die Trikot-Hersteller winkten ab, die Gore-Mitarbeiter fuhren ernüchtert nach Hause. Vor 30 Jahren war Gore irgendein langweiliger Industriegigant.
Ein paar Mitarbeiter fuhren Rennrad, trainierten auch bei Starkregen im Münchener Umland und hatten einfach keinen Bock mehr auf schlabbrige Wanderjacken. Die waren dick, schwer und vor allem
uncool. Weil aber keiner ihre Gore-Tex-Membran zu Radjacken vernähen wollte, machten sie das eben selber, nannten sie „Giro“ und überredeten einen Händler, sie auszuprobieren. Wochen später wurde
Gore von der Nachfrage überwältigt.
Die Gegenwart. Gore Bike Wear in Feldkirchen, ein Industriekomplex auf der Fläche eines kleinen Fußballstadions, zwei Stockwerke, draußen die Alpen, Postkartenpanorama. Im oberen Stock eine Art Erlebniswelt, Marketingstrategen nennen es „Brand Experience Center“. Jürgen Erd, Marketing-Manager, 35, groß und drahtig, führt mit weißen Handschuhen eines der letzten Exemplare der Giro-Jacke vor. 200 D-Mark kostete sie damals, ein Mondpreis. Aber die erste Regenjacke für Rennradfahrer war so ein Erfolg, dass daraus Gore Bike Wear entstand.
Erd referiert im Marketing-Modus: Jeder Radfahrer solle das ganze Jahr über seine Leidenschaft ausleben können. Darum entwickele Gore Bekleidung für jedes Wetter, vom Hochsommer bis zum
Wolkenbruch. „Kernbestandteil sind dabei unsere Technolgien wie Gore-Tex und Windstopper. ‚Our products do what we say they will do‘ ist dabei einer unserer Leitsätze gegenüber unseren Kunden“,
erklärt Erd. Wenn der Slogan ein Versprechen ist, dann ist die Jacke die Bürgschaft.
Kein Trikot, keine Hose, keine Socke und kein Handschuh entscheidet im Extremfall so sehr über Wohl und Wehe beim Radfahren wie die Regenjacke. Wer das nicht glaubt, der kann ja mal ohne
Regenjacke die Alpen überqueren.
Auf Hüfthöhe ein Stehtisch, darauf eine Membran. Erd gießt Wasser darauf, die Tropfen perlen von der Außenseite ab, von der Innenseite ziehen sie nach außen. Diese Technik kaufen andere Hersteller für ihre Outdoorjacken, Hosen, Handschuhe oder Wanderstiefel. Ein wenig ähnelt der Konzern dem Rahmengiganten Giant: Die eigene Marke ist kleiner als die Firma dahinter. Ohne Gore müssten die alle ihre eigene Regenmembran produzieren. Einige machen das sogar, aber kein Produktname wird so offensiv als Verkaufsargument eingesetzt wie Gore-Tex. „Gore Bike Wear ist im Bereich hochfunktioneller Radbekleidung Marktführer in Deutschland, die Marke besitzt die höchste Markenbekanntheit und den größten Anteil am Besitz von Fahrradbekleidung der Konsumenten in diesem Segment“, verspricht Erd.
Ein deutsches Schwergewicht der Sportbekleidungsindustrie; mit selbständiger Entwicklung, Fertigung von Prototypen, Marketing und Vertrieb, nur rechtlich sind sie Teil eines US-Konzerns. Würden
sie nicht so viel Englisch reden, würde man den US-amerikanischen Ursprung kaum merken. Eine Firma in der Firma. Der Mutterkonzern produziert für die Luft- und Raumfahrt, die Autoindustrie, das
Militär, die chemische Industrie und die Elektrobranche, doch kein Produkt ist unter Endverbrauchern so bekannt wie die Regenmembran.
250 Angestellte arbeiten in Feldkirchen. Das ist die Höchstzahl, die Gore an einem Standort zulässt. An den Wänden reihenweise die Auszeichnung „Great Place to Work“. Im weiteren Sinne könnte man diesen Preis der ganzen Region zuschreiben: Mit München gehört Oberbayern zu den stärksten Wirtschaftsregionen Europas, Einwohnerzahl und Immobilienpreise schießen in die Höhe. Das einzige, was still steht, sind die Alpen, die Wiesen und die Dorfkirchen. Nur ab und zu zuckelt eine Kuh durch die Kulisse.
Mit dem Auto fährt man eine halbe Stunde zum Münchener Marienplatz oder in drei Stunden zum Gardasee. Diese Mischung aus bayerischer Provinz und Nähe zu München und Italien könnte ein Grund sein, warum so viele Menschen hierherziehen. So kam etwa ein Designer aus Paris über Adidas zu den Kuhwiesen in Feldkirchen. Nicht jeder ländlich gelegene Arbeitgeber kann neue Mitarbeiter so einfach zum Umzug hierherbewegen.
Später Nachmittag, eine gemeinsame Ausfahrt, eingehüllt in Gore-Tex. Die Sonne strahlt, es regnet kein einziges Tröpflein, es weht kein Lüftlein. Schade eigentlich.