Die Party ist vorbei. Nach den euphorischen, pandemiegetriebenen Rekordjahren ist die europäische Fahrradbranche im harten Alltag der Marktkonsolidierung angekommen. Volle Lager, massiver Preisdruck und sinkende Absätze prägen das Bild. Die neue Fahrradstudie 2025 von Ernst & Young (EY) zeichnet das ungeschminkte Bild einer Branche im schmerzhaften Anpassungsprozess, die zwischen notwendiger Marktbereinigung und verhaltener Zukunftshoffnung gefangen ist.
Das Ende der goldenen Jahre
Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste Fahrrad-Boom, der der Branche ungeahnte Zuwächse bescherte, ist endgültig ausgelaufen. Die neue Realität heißt Konsolidierung. Die aktuelle EY-Fahrradstudie, die den europäischen Markt (EU27 & UK) beleuchtet, legt die Fakten auf den Tisch: Die Nachfrage normalisiert sich, die Lager sind nach wie vor zu voll, und der daraus resultierende Preisdruck zwingt viele Akteure in die Knie. Doch die Studie zeigt auch: Trotz der Talfahrt liegt das Marktniveau noch immer deutlich über der Zeit vor der Pandemie, und Nischen wie das Gravelbike widersetzen sich dem negativen Trend.
Die harten Fakten: Europas Fahrradmarkt in Zahlen
Die Gesamtzahlen für Europa sprechen eine deutliche Sprache. Der Markt befindet sich in einer Korrekturphase, die sich in allen wesentlichen Kennzahlen widerspiegelt:
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Umsatzrückgang: Der europäische Gesamtumsatz sank 2024 um 6 % auf 18,1 Milliarden Euro.
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Absatzeinbruch: Mit 15,9 Millionen verkauften Einheiten gingen die Verkäufe um 5 % zurück – der niedrigste Wert seit über 20 Jahren.
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Preis-Schere: Während der Durchschnittspreis für E-Bikes europaweit noch leicht um 2 % auf 2.443 € stieg, fielen die Preise für mechanische Räder bereits um 3 % auf 601 €. Dies deutet auf den anhaltenden Trend zu höherwertigen E-Bikes hin, aber auch auf den beginnenden Preisverfall.
Besonders hart traf es die größten Märkte: Deutschland und Österreich verzeichneten mit jeweils –10 % den stärksten Umsatzrückgang im Ländervergleich.
Im Fokus: Deutschland – wenn der Motor stottert
Als größter und wichtigster Markt Europas steht Deutschland besonders im Fokus. Die Entwicklung hierzulande ist symptomatisch für die gesamte Branche und zeigt einige alarmierende, aber auch interessante Tendenzen:
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Erstmals sinkender E-Bike-Umsatz: Der deutsche Gesamtumsatz fiel um 10 % auf 6,33 Milliarden Euro. Haupttreiber dieser Entwicklung war der E-Bike-Markt, dessen Umsatz zum ersten Mal überhaupt zurückging – und zwar um empfindliche 12 % auf 5,43 Mrd. €. Dennoch machen E-Bikes noch immer sagenhafte 86 % des Gesamtumsatzes aus.
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Preisverfall bei E-Bikes: Nach Jahren kontinuierlicher Steigerungen brach der Durchschnittspreis für ein E-Bike in Deutschland 2024 um 10 % auf 2.650 € ein. Ein klares Zeichen für Überangebot und Rabattaktionen.
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Lagerabbau: Als positive, wenn auch schmerzhafte Entwicklung wurde der Lagerbestand in Deutschland massiv um 45 % reduziert, da der Absatz erstmals seit 2020 wieder die Anlieferungen überstieg.
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Lichtblick bei mechanischen Rädern: Entgegen dem allgemeinen Trend stieg der Umsatz mit nicht-motorisierten Fahrrädern erstmals seit drei Jahren wieder an, und zwar um 5 %.
Kritische Analyse: Gewinner und Verlierer der Krise
Ein genauerer Blick in die Segmente offenbart, wo die eigentlichen Verschiebungen stattfinden:
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Der Siegeszug des E-MTB: Der Trend zur Elektrifizierung ist ungebrochen. Im Mountainbike-Segment ist er fast abgeschlossen: Unglaubliche 94 % aller 2024 in Deutschland verkauften MTBs waren E-MTBs. Der Markt für mechanische MTBs ist mit einem Absatzrückgang von 43 % quasi zusammengebrochen.
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Gravelbikes als Hoffnungsträger: Das "Dropbar"-Segment (Rennräder/Gravelbikes) ist der große Gewinner. Seit 2019 verzeichnet es ein Gesamtwachstum von 51 %. Im Jahr 2024 waren 6 von 10 verkauften Rädern dieser Kategorie Gravelbikes. Hier findet eine klare Nachfrage nach hochwertigen, mechanischen Sportgeräten statt.
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E-Lastenräder im Zwiespalt: Trotz eines leichten Absatzrückgangs von 2 % im Jahr 2024 bleibt das langfristige Wachstum bei E-Lastenrädern mit einer jährlichen Rate von 28 % seit 2019 enorm. Negative Schlagzeilen und Sicherheitsbedenken haben hier jedoch das Vertrauen der Verbraucher gedämpft.
Die Stimmung in der Branche: Optimismus trifft auf Insolvenz-Angst
Die von EY durchgeführte Expertenumfrage unter 30 Branchenkennern zeichnet ein widersprüchliches Bild:
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Verhaltener Optimismus: Langfristig (bis 2030) sind 81 % der Experten optimistisch und erwarten wieder steigende Absatzzahlen. Kurzfristig rechnet die Mehrheit (55 %) jedoch mit stagnierenden Preisen.
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Kritischer Widerspruch: Gleichzeitig erwarten 44 % der Befragten in den nächsten 24 Monaten einen Anstieg der M&A²-Aktivitäten und ebenfalls 44 % einen Anstieg der Insolvenzen. Dies bedeutet im Klartext: Man glaubt an die Zukunft der Branche, aber nicht für alle. Eine Marktbereinigung wird als unausweichlich angesehen.
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Kaufkriterien im Wandel: Aktuell sind Preis (28 %) und Design (19 %) die wichtigsten Kaufkriterien. Themen wie nachhaltige Produktion (1 %) und Sicherheit (3 %) spielen kurzfristig eine untergeordnete Rolle, gewinnen aber in der 5-Jahres-Perspektive an Bedeutung.
- Die Beliebtheit des Fahrradfahrens bei Kindern in den nächsten 5 Jahren wird unter den Befragten kontrovers bewertet. Während 52 % ein moderates Wachstum prognostizieren, sehen 32 % einen Rückgang.
Fazit und Ausblick in die Zukunft
Die EY-Fahrradstudie 2025 ist ein Weckruf und eine Bestandsaufnahme zugleich. Die Phase des unkontrollierten Wachstums ist vorbei, die Branche durchläuft ein notwendiges Stahlbad. Überkapazitäten werden abgebaut, was zu Margendruck und einer Zunahme von Insolvenzen führen wird.
Die Zukunft gehört denjenigen, die sich anpassen können. Der Markt professionalisiert sich und differenziert sich weiter aus. Während der E-Bike-Markt in die Sättigungsphase kommt und über den Preis kämpft, entstehen in Premium-Nischen wie dem Gravel-Segment neue Chancen.
EY prognostiziert für 2025 eine Stagnation des Marktes, gefolgt von einem moderaten, aber stetigen Wachstum von durchschnittlich 3 % pro Jahr bis 2030. Die Aussicht ist also nicht düster, aber der Weg dorthin wird steinig. Die beste Aussicht, so zitiert die Studie, kommt nach dem härtesten Anstieg – das gilt für das Radfahren und für das Business gleichermaßen.
Die vollständige Studie kann auf der Webseite von EY angefordert werden.
M&A²: Die Anzahl der Transaktionen spiegelt angekündigte oder abgeschlossene M&A-Transaktionen in Europa vom 1. Januar 2020 bis 20. Mai 2025 wider (Datum der Transaktionsbekanntgabe), basierend auf Daten von Capital IQ. Enthält nur Unternehmen mit Fahrrädern oder E-Bikes als Hauptgeschäftsfeld; schließt Transaktionen aus, bei denen fahrradbezogene Aktivitäten nicht zum Kerngeschäft gehören oder nebensächlich sind.


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