Nur Voegel duerfen flattern!


Fahrräder dagegen sollen steif sein. Und elastisch. Damit man effizient kurbelt und komfortabel im Sattel sitzt, ohne dass jeder Kieselstein ungefiltert bis ins Rückenmark durchschlägt. Ernst Brust, Geschäftsführer des Prüfinstituts Velotech.de, erklärt die Quadratur des Kreises.


Leser lieben Steifigkeitsmessungen. Hochkonjunktur in den Fachzeitschriften haben diese Tests, seitdem Leichtbau ein wesentliches Verkaufsargument ist. Die Tests sind schnell und einfach, und weil der Prüfling in der Regel nicht zerstört wird, ist der Test ist auch noch günstig. Hat man außerdem noch eine Waage zur Hand, so kann man sogar eine Verhältniszahl bilden: Steifigkeit zu Gewicht (stiffness to weight) und damit unter den Prüflingen eine Rangordnung bilden und den Besten mit einem Testsieger-Logo prämieren. Leider nur für diese eine Eigenschaft, denn es gibt auch andere Forderungen!

Ernst Brust erklärt: "Fahrräder sollen nicht flattern. Flattern nennt man das unruhige Aufschaukeln der Lenkung um die Steuerkopfachse bei Geschwindigkeiten von ca. 15 bis 45 km/h. Motorradfahrer kennen außerdem noch das Pendeln bei ca. 100 km/h, eine Unruhe des Fahrwerks um die Längsachse. Beides kann zu schweren Unfällen führen. Fahrräder flattern, wenn die Steifigkeit der Rahmen-Gabel-Einheit zu gering ist. Begünstigt wird dieser Effekt durch lange Rahmen mit hoher Sitzposition, aber auch durch schwere Laufräder mit hohem Luftdruck in der Bereifung.
Gyroskopische Kräfte am Vorderrad – das sind Kräfte, die beim Lenken quer zur Fahrtrichtung auftreten – lösen das Flattern aus. Es entstehen Eigenschwingungen des Systems, die sich mit hoher Frequenz über den Sattel am Fahrer und über die Reifen an der Fahrbahn abstützen. Die Rahmen-Gabel-Einheit wirkt als Federelement. Erhebt sich der Fahrer aus dem Sattel, so klingen diese Schwingungen schnell ab. Die Verteilung der Lasten auf dem Fahrrad beeinflusst das Flattern, das besonders an gut ausgerichteten Rahmen mit exakt eingestellten Steuerkopflagern auftritt, wenn die Fahrräder auf glatter Fahrbahn im Feilauf und mit hoher Geschwindigkeit fahren.
Durch hohe Antriebskräfte und raue Fahrbahnen wird Flattern unterdrückt. Kompakte und steife Rahmen sowie leichte Laufräder sind Kennzeichen von Fahrrädern mit geringer Neigung zu flattern. Genauere Aussagen über die Neigung eines bestimmten Fahrrades, unter Umständen zu flattern, lassen sich also nur machen, wenn mehrere Parameter untersucht werden und dabei der Einfluss eines bestimmten Fahrers nicht vernachlässigt wird."


Ernst Brust, Gründer und Geschäftsführer von Velotech.de
Ernst Brust, Gründer und Geschäftsführer von Velotech.de

Die Steifigkeitsmessungen sind lediglich ein Indiz hierfür. Die Steifigkeit einer Rahmen-Gabel-Einheit muss nach mehreren Gesichtspunkten ermittelt werden. Aus den Einzelergebnissen lässt sich nicht nur die Neigung zum Flattern abschätzen. Wichtig sind auch die Umsetzung der Antriebskräfte in Vortrieb sowie das Potential, Frontalstöße abzufedern und Bremskräfte aufzunehmen. Folgende Eigenschaften einer Rahmen-Gabel-Einheit kann man durch Steifigkeitsmessungen bewerten:

Ergonomie
Wird die Tretarbeit optimal in Vortrieb umgesetzt? Oder schluckt der Rahmen durch seitliche Wechselbiegungen einen prozentual großen Anteil der Antriebsleistung?
Gemessen wird die
 - Antriebssteifigkeit (Drehmoment zwischen Steuerkopfachse und Tretlagerachse) beim Wiegetritt
- Tretlagersteifigkeit (Drehmoment zwischen der Tretlagerachse und den beiden Radachsen)

Komfort
Lässt sich das Fahrrad spurtreu fahren oder neigt es zum Flattern?
Gemessen wird die
- Lenkkopfsteifigkeit (Drehmoment zwischen der Hinterradachse und der Steuerkopfachse)
- Spursteifigkeit (Querbelastung der Vorderradachse gegenüber der Hinterradachse)
- Hinterbausteifigkeit (Querbelastung der Hinterradachse gegenüber dem Hauptrahmen?

Sicherheit
Ist die Rahmen-Gabel-Einheit in Längsrichtung des Fahrrades elastisch genug, um Frontalbelastungen ausreichend abzufedern, oder treten zerstörende Kräfte als Zug im Oberrohr oder als Druck im Unterrohr auf?
Gemessen wird die
- Bremssteifigkeit VR (Einfederung der Vorderradachse in Richtung Tretlagerachse)
- Bremssteifigkeit HR (Durchbiegung der Hinterbaustrebe, an der sich die Bremse abstützt)

Aus ergonomischen Gründen sollen die Rahmen möglichst starr sein, weiss Brust. Sicher sind sie aber nur, wenn sie in Fahrtrichtung auch ausreichend elastisch sind. Das wurde in den letzten Jahren häufig übersehen. Extrem dünne Ober- und Unterrohre der Hauptrahmen mit integrierten Steuersätzen und äußerst steifen Vorderradgabeln führten dazu, dass die Einfederung der Vorderradachse zur Tretlagerachse mehr als halbiert wurde. Zug- und Druckkräfte im Hauptrahmen stiegen deshalb auf mehr als das Doppelte an. Gerissene Oberrohre und eingedellte Unterrohre wurden das Erkennungszeichen extrem steifer Leichtbaurahmen! Im Testlabor kann man durch eine Frontalschlagprüfung feststellen, ob die Rahmen-Gabel-Einheit ausreichend elastisch ist, um die Frontalbelastungen abzufedern. Noch einmal: Steif und elastisch, ohne zu flattern, sind die optimalen Eigenschaften einer Rahmen-Gabel-Einheit!